05.12.22, Weimar: Veranstaltung mit Enthüllung einer Gedenktafel und Podiumsdiskussion in Erinnerung an Arnold Paulssen, erster Ministerpräsident des 1920 gegründeten Freistaats Thüringen. Foto: Candy Welz
Veranstaltung

Der vergessene Landesvater. Tafel für Arnold Paulssen eingeweiht


Am 5. Dezember lud die GEDG zur Weihe einer Tafel für Thüringens ersten Ministerpräsidenten und Architekten der Thüringer Landesgründung 1920, Arnold Paulssen (DDP). Nach der Begrüßung durch GEDG-Projektleiter Dr. Christian Faludi enthüllten dessen Urenkel Ottokar Groten und Minister Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff den Travertin unter Beisein der Besitzer des Hauses, der Familie Dr. Reinhart Schramm, der Presse und der Öffentlichkeit.

Aus der Ansprache von Dr. Christian Faludi:

„Die Gesellschaft zur Erforschung der Demokratie-Geschichte hat sich das Ziel gesetzt, der Ergründung demokratiegeschichtlicher Prozesse mehr Gewicht zu verleihen, um die daraus entstehenden Erkenntnisse für die Gestaltung einer lebendigen Erinnerungskultur nutzbar zu machen. Das betrifft unter anderem auch die Zeit der Weimarer Republik, welcher mit dem 100. Jahrestag der Nationalversammlung 2019 viel Aufmerksamkeit zuteilgeworden ist – deren Lokal- und Regionalgeschichte allerdings nach wie vor wenig Beachtung geschenkt wird. Das mag überraschen, da zahlreiche Straßen und Plätze in den Kommunen der Bundesrepublik Namen von Persönlichkeiten tragen, die eng mit diesem Abschnitt deutscher Demokratiegeschichte verbunden sind. So auch in Weimar; kombinieren hier doch beispielsweise der August-Baudert-Platz, die Eduard-Rosenthal-Straße oder der August-Frölich-Platz Formen des Erinnerns mit den – nur wenigen Menschen bekannten – Leistungen der Genannten.

Christian Faludi bei der Begrüßungsansprache zur Tafelweihe / Foto: Candy Welz

Während dem örtlichen Revolutionsführer von 1918, dem Vater der Thüringer Verfassung von 1921 und dem zweiten Ministerpräsidenten des Freistaats 1921–1923 zumindest dem Namen nach Orte gewidmet worden sind, ist der wichtigste Gründungsvater und erste Staatsminister des Landes Thüringen, Arnold Paulssen, dem kollektiven Gedächtnis gänzlich abhandengekommen. Lediglich ein Grabstein auf dem Historischen Friedhof gibt (Eingeweihten) mit seiner Inschrift Zeugnis über das Werk des hier Bestatteten. Erinnerungskulturell darf das durchaus als Missstand interpretiert werden; historisch lässt es sich zumindest erklären: Schließlich überformte zunächst das »Dritte Reich« jede demokratische Errungenschaft der Weimarer Republik – auch in zurückschauender Perspektive –, bevor der DDR-Staatssozialismus propagandistisch keinen Raum für einen im Kaiserreich sozialisierten Beamten und liberalen Politiker verfügbar machte. Mehr als dreißig Jahre nach dem demokratischen Umbruch und der Neugründung Thüringens ist es längst überfällig, Arnold Paulssen in das öffentliche Gedächtnis seiner Heimatstadt und seines Heimatlandes zurückzuholen. Die heutige Weihe der Tafel an seinem ehemaligen Wohnhaus soll hierfür nur der Anfang sein – markiert doch die der Zeremonie angeschlossene Übergabe des Nachlasses der Familie Paulssen an das Landesarchiv fernerhin das Bestreben, im Nachgang ein editorisch-biographisches Forschungsprojekt auf den Weg zu bringen. Gleichfalls sind weitere Aktionen im öffentlichen Raum geplant. Die notwendigen Bande für ein tragfähiges Netzwerk zwischen Institutionen aus der Wissenschaft, Vermittlungsarbeit und den Medien sind derweil bereits geknüpft.

Insofern dürfen wir am heutigen Tag hoffnungsfroh sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft schauen und Arnold Paulssens demokratisches Werk feierlich wie optimistisch würdigen. Allen, die diese Ehrung ermöglicht haben, gilt mein herzlicher Dank. Besonders danke ich Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff und Dr. Bernhard Post für ihre Teilnahme an der Podiumsveranstaltung und den Festvortrag. Weimars Oberbürgermeister Peter Kleine und seiner Stadtkulturdirektorin Julia Miehe gilt der Dank für die Unterstützung unserer Aktion, sowie den Autoren dieser Broschüre für das Teilen ihrer Kenntnisse. Vor allem aber danke ich Ottokar Groten, dem Urenkel von Arnold Paulssen, und den Besitzern des Hauses in der Steubenstraße, der Familie von Dr. Reinhart Schreiber, für ihr liebevolles Entgegenkommen in allen Belangen und die wohlwollende Unterstützung unserer Vorhaben.“

Benjamin-Immanuel Hoff und Ottokar Groten enthüllen die Tafel / Foto: Candy Welz

Flankiert wurde die Weihe von einer Podiumsveranstaltung in der Weimarer Notenbank, bei der Dr. Bernhard Post (ehem. Leiter des Landesarchivs Thüringen) den Festvortrag hielt. Die Kulturdirektorin Julia Miehe begrüßte für die Stadt Weimar, Stephan Zänker für den Vorstand der GEDG. Auf dem Podium diskutierten neben Ottokar Groten, Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff und Bernhard Post. Am selben Tag erfolgte die offizielle Übertragung des Nachlasses an das Landesarchiv Thüringen, das von Dr. Frank Boblenz vertreten wurde.


Im Grußwort von Minister Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff hieß es:

„Das Ende des Deutschen Kaiserreichs war zugleich die Geburtsstunde der ersten deutschen Republiken. Auch Thüringen ging damals aus mehreren Klein- und Kleinststaaten hervor. Der Name Arnold Paulssens ist auf das Engste mit diesem Prozess verknüpft, heute aber weitgehend in Vergessenheit geraten. Dabei war es der Jurist Paulssen, der sich zu Beginn der Weimarer Republik 1919/20 maßgeblich für die Gründung des Landes Thüringen einsetzte. Dass es tatsächlich dazu kam, ist seinem Verhandlungsgeschick und seiner Reputation zu verdanken, die er sich als hochrangiger Beamter im Dienst des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach über Jahrzehnte erworben hatte. Politische Verantwortung übernahm Paulssen auch in den folgenden Jahren, unter anderem zweimal als Vorsitzender der Landesregierung, dem heutigen Amt des Ministerpräsidenten vergleichbar.

Benjamin-Immanuel Hoff und Ottokar Groten / Foto: Candy Welz

Mit Arnold Paulssen ehren wir im wahrsten Sinne des Wortes einen Landesvater. In einer Zeit des Umbruchs hat er sich nicht nur um die Gründung des modernen Thüringens verdient gemacht, sondern auch entscheidend zu dessen Demokratisierung beigetragen. Sein Einsatz für ein demokratisch-freiheitliches Gemeinwesen kann uns auch heute als Ansporn und Orientierung dienen. Im Namen der Landesregierung ergeht daher mein herzlichster Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gesellschaft zur Erforschung der Demokratie-Geschichte, die mit der Enthüllung der Gedenktafel und deren Begleitveranstaltungen eine zu Unrecht vergessene Persönlichkeit wie Arnold Paulssen wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit holen. Ich bin der guten Hoffnung, dass dies nur ein erster Schritt bei der Aufarbeitung dieses bedeutsamen Kapitels Thüringer Demokratiegeschichte ist.“


Das Grußwort des Oberbürgermeisters Peter Kleine lautete:

„Weimar ist eine kleine Stadt, in der alles mit dem Großen zusammenhängt. Die meisten Kultur- und Geschichtsinteressierten haben in den letzten Generationen dabei vor allem an die Weimarer Klassik, aber auch an den Kultursturz von Buchenwald gedacht. Zurecht. Dass Weimar aber auch noch weitere Facetten zu bieten hat, etwa die seiner demokratiegeschichtlichen Bedeutung, kam allerdings meist zu kurz.

Erst in den letzten Jahren ist es uns dank der Beharrlichkeit einiger zunächst Weniger gelungen, diesen Umstand zu beheben. Was von Weimar aus nach dem Ersten Weltkrieg mit der verfassungsgebenden Nationalversammlung geschaffen wurde, war epochal. Dabei lohnt auch der Blick auf die Personen, die sich in jener Zeit in und für Thüringen eingesetzt haben und in jener unruhigen Zeit hohe Verantwortung nicht gescheut haben. Dazu zählt zweifellos Arnold Paulssen, der als erster Regierungschef das vereinte Thüringen in das demokratische Zeitalter hineinführte. Er ist zu Unrecht eine fast vergessene Persönlichkeit gewesen. Ich freue mich daher, dass sein Name und sein Wirken wieder einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.

Ich bin allen Akteurinnen und Akteure dankbar, die in den letzten Jahren die demokratiegeschichtliche Tradition Weimars wieder zum Vorschein gebracht haben. Sie haben mitgeholfen, Weimar als Schlüsselort deutscher Demokratiegeschichte ins Bewusstsein der öffentlichen Wahrnehmung zu bringen. Dafür steht auch das Haus der Weimarer Republik mit dem dazugehörigen Verein, dem wir als Stadt als Bauherrin ein langfristiges Forum zur Verfügung gestellt haben.

Ich wünsche uns allen, dass unsere Mühen und Anstrengungen zur Vermittlung und Erforschung der Demokratiegeschichte und zum Demokratieerhalt weiter Früchte hervorbringen werden. Möge die Erinnerung an Arnold Paulssen daran ihren Anteil haben.“


Veranstaltung mit Enthüllung einer Gedenktafel und Podiumsdiskussion in Erinnerung an Arnold Paulssen, erster Ministerpräsident des 1920 gegründeten Freistaats Thüringen. Fotos: Candy Welz