Der dritte Workshop des vom Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland geförderten Projektes fand diesmal an einem historischen Ort statt, tagte doch das Erfurter Unionsparlament seinerzeit in der nahen Kirche. Einem Impulsreferat von Dr. Steffen Raßloff schloss sich eine intensive Diskussion an, die ein breites Spektrum von Themen berührte. Im Zentrum der Diskussionen über den Umgang mit den Ereignissen der Jahre 1848 bis 1850 standen das Gothaer Nachparlament von 1849 und das Erfurter Unionsparlament 1850, sowohl als historische Ereignisse wie auch in Bezug auf die geplanten Veranstaltungen und Initiativen zu den jeweiligen 175jährigen Jubiläen.
Das Gothaer Nachparlament als eine auch vor Ort weitgehend vergessene „Scharnierveranstaltung“ zwischen dem Frankfurter Parlament und dem Erfurter Unionsparlament soll 2024 in Gotha entsprechend erinnert werden. Geplant ist dafür eine zweitätige Tagung und die Markierung wesentlicher Orte im Stadtbild (ggf. virtuell). Während des Workshops wurden einerseits Möglichkeiten der Kooperation zwischen Erfurt und Gotha erörtert, andererseits die bisherige Erinnerung an dieses Ereignis deutscher Demokratiegeschichte, die exemplarisch viele Gemeinsamkeiten ostdeutscher Erinnerung an die Revolution 1848/49 aufzeigt und sich deshalb auch auf das Erfurter Unionsparlament übertragen lässt. In der ersten deutschen Demokratie wurden die Ereignisse partiell positiv erinnert – im Nationalsozialismus hingegen gar nicht, und die DDR erinnerte die Revolution 1848/49 nicht nur in Gotha primär unter der Interpretation einer Vorläuferrevolution, die letztlich gescheitert war. Damit war ehrendes Andenken nur für die „radikalen“, kämpferischen Elemente denkbar. Liberale oder gar aufgeklärt-monarchische Bestrebungen waren aus dieser Sicht nicht positiv bewertbar. Daran hat sich in der Forschung inzwischen grundlegend etwas geändert, langlebiger sind diese Sichtweisen in der öffentlichen Wahrnehmung. Dies ist ähnlich freilich auch in Westdeutschland zu beobachten, wo die positive Erinnerung an überzeugte, in ihren Mitteln zum Teil gewaltbereit radikale Demokraten auch gegenwärtig mitunter zur Abwertung kompromissbereiter liberaler Kreise führt. Es ist jedoch notwendig, alle Spielarten als Bestandteile ost- und gesamtdeutscher Demokratiegeschichte zu erinnern.
Das Erfurter Unionsparlament hat als Ereignis deutscher Demokratiegeschichte vor allem Bedeutung als Versuch einer deutschen Verfassung und bundesstaatlichen Einigung. Symbolisch steht es zugleich dafür, wie der Bürger und sein gewählter Vertreter (allerdings unter Ausgrenzung von Frauen und oft auch der Unterschichten) zunehmend als wichtiger Akteur akzeptiert wurden. Die zivile politische Debattenkultur wurde hier erprobt und formte sich aus. Erfurt erscheint wie die frühen Landeslandtage als eine Schule des Parlamentarismus – ohne dass dieser gleichgesetzt werden kann mit der heutigen parlamentarischen Demokratie. Diese Orte des frühen Parlamentarismus sind jedoch ein wichtiger Schritt in der Entwicklung, die zugleich nicht zwangsläufig als abgeschlossen zu betrachten ist.
Von Seiten der Stadt Erfurt wird an einer größeren Sonderausstellung zum Unionsparlament für das Stadtmuseum 2025 gearbeitet. Relevante Orte im Stadtbild sollen physisch und vermutlich auch virtuell markiert werden. 2025 wird zudem eine größere Tagung stattfinden. Ziel der Veranstaltungen ist es, Erfurt als Ort der gesamtdeutschen Demokratiegeschichte stärker (auch überregional) dauerhaft im öffentlichen Bewusstsein zu verankern.
Das Evangelische Augustinerkloster ist ebenfalls dabei, sich in dieser Richtung stärker als bisher aufzustellen. Dafür sollen in den nächsten Jahren im Kloster wie in der Kirche Informationselemente geschaffen werden. Das Evangelische Augustinerkloster und die Stadt Erfurt wollen sich aufgrund ihrer inhaltlich und zeitlich engverwandten Vorhaben intensiv austauschen.
Ostdeutschland war Schauplatz einer Reihe wichtiger Ereignisse der Jahre 1848 bis 1850. Das Gothaer Nachparlament und Erfurter Unionsparlament sind neben den Ereignissen etwa in Berlin (Märzkämpfe 1848), Dresden (Maiaufstand 1849) und in kleineren Landeshauptstädten (wo sich eine Reihe zum Teil sehr fortschrittliche Verfassungsprojekte identifizieren lassen) besonders herauszuheben. Bei der Vermittlung dieser Erkenntnisse ist es notwendig, künftig ein noch breiteres Spektrum an potentiellen Interessenten anzusprechen. So sind für eine wirksame Popularisierung etwa unter der Jugend jenseits des Unterrichts andere Vermittlungswege notwendig (Comics und schauspielerische Kunstelemente, Arbeit mit den sozialen Medien, Rückkoppelungen in Sprache und Ereignisse der Gegenwart). Dabei muss der Input durch die Konsumenten dynamisch aufgegriffen werden. Die Workshopteilnehmenden werden zu diesen Punkten im Austausch bleiben.
Foto: Tagungs- und Begegnungsstätte Evangelisches Augustinerkloster (Alexander Raßloff)