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GEDG als Kompetenzzentrum zur Erforschung der Demokratiegeschichte vorgestellt

Pressegespräch mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland, Staatsminister Carsten Schneider, und der Staatssekretärin für Kultur des Freistaats Thüringen Tina Beer


Am Freitag, den 9. Dezember 2022 lud die GEDG in ihre Räumen zum Pressegespräch mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland, Staatsminister Carsten Schneider, und der Staatssekretärin für Kultur des Freistaats Thüringen, Tina Beer, dem GEDG-Vorstandsmitglied Stephan Zänker, GEDG-Projektleiter Dr. Christian Faludi und der Verwaltungsreferentin Virginie Klemm.

Foto: Claus Bach

Stephan Zänker stellte die Arbeit der GEDG vor und verdeutlichte die Anliegen anhand folgender Punkte:

Demokratiegeschichte ist ein neuer, wichtiger Bereich unserer Erinnerungskultur.
Unsere Demokratie hat Wurzeln. Und es wird immer wichtiger, diese deutlich sichtbarer zu machen. Indem wir uns mit der Geschichte unserer Demokratie beschäftigen, wird uns begreiflicher, dass sie nicht selbstverständlich ist, sondern errungen und verteidigt werden muss. Dabei geht es nicht um eine glatte Geschichtserzählung, vielmehr zeigen die tiefen Brüche, die Rückschläge und Ambivalenzen, wie groß die Bedrohungen und wie gefährlich die Abwege sein können.

Gerade in Thüringen ist die liberale Demokratie in besonderer Gefahr.
Thüringens Demokratie ist, wie in den anderen ostdeutschen Bundesländern, vergleichsweise jung und ungefestigt. Das heutige politische System wurde zudem im Zuge der deutschen Einheit 1990 pauschal übernommen. Dies führt zu Gefühlen der Fremdheit, weil die ehemaligen DDR-Bürger an der Ausgestaltung der bundesrepublikanischen Demokratie nicht beteiligt waren, sondern sie nur beobachtet haben. Diese Gefühle werden von den Gegnern der liberalen Demokratie ausgenutzt, um ihr autoritäres und reaktionäres Gesellschaftsbild zu etablieren, in bewusster Anknüpfung an den alten Ost-West-Konflikt. Dieser ideologische Angriff auf die liberale Demokratie ist gefährlich, weil er auf die Grundpfeiler unserer Verfassungsordnung zielt.

Es geht um die Schaffung eines stabilen demokratischen Selbstbewusstseins.
Die liberale Demokratie ist auf die Mitwirkung vieler Menschen angewiesen. Und darauf, dass sie von ihnen tagtäglich verteidigt wird. Man kann jedoch nur Dinge verteidigen, die man gut kennt und die Teil des eigenen Selbstverständnisses sind. Der alleinige Verweis auf die deutsche Einheit und die vergangenen 30 Jahre genügt nicht. Vielmehr ist es wichtig, tiefere Wurzeln unserer Demokratie sichtbar zu machen, um aus ihnen ein demokratisches Selbstbewusstsein zu formen. Trotz zweier Diktaturen im 20. Jahrhundert gibt es diese Wurzeln auch in Thüringen. An erster Stelle ist hier die Friedliche Revolution von 1989 zu nennen, die immer noch unterbelichtet ist und dabei den größten Schatz darstellt, den die Ostdeutschen in die heutige Bundesrepublik eingebracht haben. Aber auch weiter zurückreichende Entwicklungen signalisieren: Die liberale Demokratie ist nicht 1990 übernommen worden, sondern wurde über Jahrhunderte hinweg auch in Thüringen erdacht, erkämpft, verteidigt, zwischenzeitlich verloren und wiedererrungen.

Thüringen ist ein wichtiger Ort deutscher Demokratiegeschichte.
Der Freistaat Thüringen bietet für diese Betrachtung sehr gute Anknüpfungspunkte, denn eine ganze Reihe demokratiegeschichtlicher Ereignisse fand auf seinem Boden statt. Das beginnt mit den freien Reichsstädten und den Bauernkriegen und reicht weiter über die frühen Verfassungen und Parlamente, die Revolution von 1848/49 und ihre Nachwirkungen. Hier fand 1817 das Wartburgfest statt, 1849 trat das Gothaer Nachparlament, 1850 das Erfurter Unionsparlament zusammen. Zudem war Thüringen ein wichtiges Zentrum der Arbeiterbewegung und 1918 der Landstrich mit den meisten demokratischen Revolutionen. Im Jahr darauf wurde in Weimar die erste deutsche Republik gegründet – und 1920 vereinigten sich sieben Staaten zum Land Thüringen, ein einzigartiger und zutiefst demokratischer Vorgang in der deutschen Geschichte, der bis heute unterschätzt wird. Und auch der Widerstand gegen Diktaturen, ob in der NS-Zeit oder in der DDR, gehört zur Geschichte unserer Demokratie. Der hoffnungsvolle, jedoch schnell abgewürgte Neubeginn 1945, der Aufstand am 17. Juni 1953 und viele weitere Ereignisse verdeutlichen, dass das Streben nach Freiheit und Demokratie immer vorhanden war. Und es kann uns heute Orientierung geben.

Demokratiegeschichte ist heute eine politische Aufgabe.
Mit der Aufnahme von Förderprojekten und der Errichtung der neuen Bundesstiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte hat sich die Bundesrepublik dazu bekannt, diesen Bereich der Erinnerungskultur zu stärken. Die Wurzeln unserer Demokratie sollen sichtbarer gemacht, ihre Vorkämpferinnen und Vorkämpfer, bei aller Ambivalenz und Differenzierung, deutlicher gewürdigt werden. Thüringen spielt in dieser Entwicklung eine herausragende Rolle – nicht nur wegen seiner Bedeutung in der deutschen Demokratiegeschichte, sondern auch, weil hier ein stabiles Netzwerk von Akteuren entstanden ist.

Die Gesellschaft zur Erforschung der Demokratiegeschichte ist Kompetenzzentrum.
Mittelpunkt dieses Netzwerks ist die Gesellschaft zur Erforschung der Demokratiegeschichte mit Sitz in Weimar. Sie engagiert sich in der bundesweiten Vernetzung und arbeitet an konkreten inhaltlichen Themen, etwa zur Frühgeschichte der Demokratie in Deutschland, zur widersprüchlichen Entwicklung im 19. Jahrhundert, zur ersten Demokratie in der Weimarer Republik, zur Zeit der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR. Mit diesem breiten Absatz ist ein Kompetenzzentrum und Anlaufpunkt zur Demokratiegeschichte entstanden mit bundesweiter Bedeutung.

Thüringen setzt starke Akzente in der Demokratiegeschichte.
Unterstützt wird diese positive Entwicklung durch die gezielte Komplementärförderung des Freistaats Thüringen, der damit eine Vorreiterrolle in Deutschland einnimmt. Auf diese Weise kann es gelingen, in Ergänzung zur neuen Bundesstiftung in Frankfurt am Main einen starken ostdeutschen Akzent in der Demokratiegeschichte zu setzen – und zwar von Thüringen aus.


Dr. Christian Faludi, Tina Beer, Carsten Schneider, Virginie Klemm, Stephan Zänker / Foto: Claus Bach