Blick in die Ausstellung. Foto: Christian Faludi für den Weimarer Republik e.V.
Ausstellung, Veranstaltung

Thüringen 1919. Zwischen Revolution und Landesgründung

Wanderausstellung, Osterburg Weida

2. September bis 3. Oktober 2021

Kuratiert von Dr. Christian Faludi und Manuel Schwarz, M.A. im Auftrag des Weimarer Republik e.V., in Kooperation mit der Gesellschaft zur Erforschung der Demokratiegeschichte, gefördert von der Thüringer Staatskanzlei und dem Thüringer Landtag. 

Thüringen war im Jahr 1919 wie kaum eine andere Region im Deutschen Reich vom radikalen Umbruch nach dem Ersten Weltkrieg betroffen: Im November 1918 kam es aufgrund der Vielzahl hier existierender Kleinstaaten zu zahlreichen revolutionären Ereignissen. Im Jahr darauf wurde Weimar Tagungsort der Deutschen Nationalversammlung und damit Wiege der ersten deutschen Demokratie. Im April 1919 entstand mit dem Staatlichen Bauhaus eine für Kunst und Architektur wegweisende Schule.

Eine weitere Zäsur erlebte die Region auf landespolitischer Ebene: Am 10. Dezember 1918 stimmten die Arbeiter- und Soldatenräte des thüringischen Reichswahlkreises für einen Zusammenschluss der thüringischen Staaten inklusive preußischer Gebietsteile. Im Frühjahr 1919 begannen die Landesvertretungen einen Gemeinschaftsvertrag auszuhandeln, dessen Ziel die Gründung eines „Großthüringen“ war. Aufgrund der Einzelinteressen in den Regionen kam es jedoch zu Konflikten: Im Freistaat Coburg entschied sich die Bevölkerung mittels Volksabstimmung – der ersten ihrer Art in Deutschland – de facto für den Anschluss an Bayern. Auch die preußische Regierung war gegen das Modell und nicht bereit, Gebietsteile abzutreten, sodass am 1. Mai 1920 lediglich die „kleinthüringische Lösung“ als einzige territoriale Neugründung der Weimarer Republik verwirklicht werden konnte. 

Die Schau spiegelt die mit Spannung geladene Periode in Thüringen zwischen Revolution und Landesgründung. Sie entstand im Kontext zahlreicher weiterer Veranstaltungen, Aktionen, Publikationen und Ausstellungen im Rahmen des von Christian Faludi und Stephan Zänker organisierten Landesjubiläums „100 Jahre Freistaat Thüringen“, im Auftrag der Thüringer Staatskanzlei und mit Unterstützung des Thüringer Landtags sowie in Kooperation mit dem Weimarer Republik e.V. Kuratiert von Christian Faludi und Manuel Schwarz war die Ausstellung unter anderem in Weimar (Kunsthalle Harry Graf Kessler), Erfurt (Landtag) und Gotha (Tivoli) zu sehen. Zuletzt machte sie vom 2. September bis 3. Oktober 2021 Station auf der Osterburg in Weida.

Die Gesellschaft zur Erforschung der Demokratiegeschichte begleitete das Programm: Am 2. September eröffnete GEDG-Projektleiter Christian Faludi die Ausstellung. Zur Finissage am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, hielt GEDG-Referent Marc Bartuschka die Festansprache im historischen Balkensaal. Beide Vorträge sind auf den folgenden Seiten dokumentiert.


Gäste an den Ausstellungsvitrinen, 2020.
Foto: Candy Welz für den Weimarer Republik e.V.

Vortrag von Dr. Christian Faludi anlässlich der Vernissage der Wanderausstellung „Thüringen 1919. Zwischen Revolution und Landesgründung“ am 2. September 2021 auf der Osterburg Weida.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Hopfe, sehr geehrte Frau Dr. Karg, meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich meinen Vortrag mit einem etwas längeren Zitat wie folgt einleiten: Am Morgen des 30. April 1920 eröffnete der sozialdemokratische Präsident des Volksrates von Thüringen, Hermann Leber, die 19. Sitzung des Parlaments im Weimarer Fürstensaal. Einziger Tagesordnungspunkt war die Lesung „des Entwurfs einer vorläufigen Verfassung des Landes Thüringens“. Kurz nach 9 Uhr erhielt der liberale Abgeordnete Eduard Rosenthal das Wort und sagte:

„Meine Herren! Früher, als wir noch vor kurzem zu hoffen wagen durften, ist die Geburtsstunde des neuen Thüringens herangerückt. Unsere Aufgabe ist es heute, diesem neuen Staate das Fundament zu sichern, das Fundament einer neuen volksstaatlichen Verfassung. Wenn solch ein wichtiger zukunftsreicher Schritt in der Geschichte eines Landes getan wird, dann liegt es auch nahe, mit einigen kurzen Worten sich geschichtlich zu versenken in die Vergangenheit. Und da ist es gerade für die, die dem künftigen Volksstaate mit voller innerer Sympathie angehören, notwendig, daß sie sich erinnern, was die Vergangenheit dieses Landes bedeutet hat. […]

Wir haben uns aber auch hier zu erinnern, daß unsere Vergangenheit in Thüringen uns in voller Schärfe das unheilvolle Bild einer geradezu unsäglichen Zersplitterung zeigt. Wenn wir daran denken, wie hier Teilung auf Teilung folgte, Spaltungen, Zusammenlegungen, wie sie seit dem Teilungsvertrag von 1485 immer wieder Volk und Land wie ein Landgut einfach zerspalteten und dadurch der unglückselige Kleinstaatenjammer heraufbeschworen wurde, dann wissen wir auch, welches Unheil damit für das ganze Deutsche Reich heraufbeschworen worden ist. Während noch in der glanzvollen Zeit der Hohenstaufen die Macht des Deutschen Reiches unbezwingbar schien, begann dann die Ohnmacht des Reiches. Und hier sehen wir auch, wie, um Staat sein zu können, Macht notwendig ist, denn hier im Innern Deutschlands mußten wir den Fremden die Schlachtfelder bieten, die Schlachtfelder, die unsere Fluren verwüsteten, unsere Häuser in Trümmer zerfallen ließen, weil es eben hier infolge der Kleinstaaterei nicht möglich war, daß das Reich wie einstens in kraftvoller Einheit sich erheben konnte.

Diese Zersplitterung des Landes in kleine Herrschaftsgebiete, die ihre staatliche Aufgabe nicht voll erfüllen konnten, wurde auch nicht geändert im Laufe des 19. Jahrhunderts. Bei allen Höhepunkten der deutschen Geschichte, immer, wenn es sich darum handelte, dem deutschen Staatsbau eine neue Kräftigung und einen neuen Aufriß zu geben – ich erinnere an den Wiener Kongreß vom Jahre 1815, ich erinnere an die Bewegung des Jahres 1848 – immer wieder ist dann der Gedanke des Zusammenschlusses der thüringischen Staaten hervorgetreten, und immer wieder hat dieser Gedanke nicht zur Verwirklichung geführt werden können. Erst jetzt ist es möglich, diese Bahn zu beschreiten, erst jetzt ist uns auch dank dem Entgegenkommen des Reichs auf Grund der Reichsverfassung, die staatsrechtliche Möglichkeit gegeben worden, aus den kleinen einzelnen Territorialsplittern einen Mittelstaat zu schaffen.“

Bereits am Ende des Ersten Weltkrieges im Sommer 1918 hatten Vertreter der Thüringer Einzelstaaten über einen Zusammenschluss ihrer Gebiete unter Souveränität der Fürsten verhandelt. Im November desselben Jahres stürzte die Revolution die Monarchen des Deutschen Kaiserreiches von ihren Thronen. Allein im Thüringer Raum wurden aufgrund der Vielzahl hier bestehender Kleinstaaten sechs Regenten zur Abdankung gezwungen. Anschließend entstanden neun Republiken mit eigenständigen Übergangsregierungen. Am 10. Dezember 1918 stimmten die Arbeiter- und Soldatenräte des Thüringer Reichswahlkreises, unterstützt von Vertretern der Länder, in Erfurt für eine Vereinigung ihrer Regionen inklusive der Gebiete des thüringischen Preußens zu einer „Provinz Thüringen“. Die Verbesserung der Versorgungslage, die politische Konsolidierung, Vermögensauseinandersetzungen mit den abgedankten Monarchen und politische Unruhen dominierten jedoch zunächst das Tagesgeschehen auf Regionalebene. Vom 26. Januar bis 16. März 1919 wählten in den Freistaaten alle Menschen ab dem 20. Lebensjahr – darunter erstmals auch die Frauen – ihre Volksvertreter nach freiem Recht in die Parlamente. Acht Tage nach dem letzten Urnengang trafen sich Vertreter der neu entstandenen Landesregierungen zu einer Konferenz in Weimar, auf der entschieden wurde, den Zusammenschluss in einem Einheitsstaat inklusive der Gebiete des thüringischen Preußens anzustreben. Das einmütige Ergebnis täuschte, denn in einigen Ländern existierten auch gegenläufige Bestrebungen über die staatliche Zugehörigkeit. So tendierten etwa Teile der Bevölkerung in Sachsen-Altenburg für einen Anschluss an Sachsen, einflussreiche Kreise in Sachsen-Meiningen propagierten die vermeintlich bessere Lösung in einem Aufgehen der thüringischen Staaten als preußischer Provinz und auch in Sachsen-Coburg zeigte man starke Neigungen, sich nicht dem neuen Land anschließen zu wollen. Am 12. April 1919 löste sich der südlichste Thüringer Freistaat dann auch in einem ersten Schritt per Staatsvertrag von seinem Gothaer Landesteil ab.

Zur Blaupause für eine Vereinigung der Thüringer Republiken wurde indes das Zusammengehen der beiden Staaten Reuß älterer und jüngerer Linie. Nach den Wahlen zu zwei Landtagen am 2. Februar 1919 hatten sich die Parlamentarier beider Häuser am 17. Februar in Gera versammelt und ihre Vereinigung zum Volksstaat Reuß eingeleitet. Am 4. April war der Prozess abgeschlossen und ein neuer Staat entstanden. Am 29. April 1919 legte dessen höchster Minister, der zu diesem Zeitpunkt noch parteilose Carl Freiherr von Brandenstein, in Gera den Entwurf eines „Gemeinschaftsvertrages über den Zusammenschluss der thüringischen Staaten“ vor, der zur Grundlage für die Thüringer Landesgründung werden sollte. Wenige Wochen später verabschiedete das Parlament des Freistaates Sachsen-Weimar-Eisenach am 16. Mai 1919 ein eigenes Grundgesetz, das wiederum zur Vorlage für die Thüringer Landesverfassung wurde. Autor des Werkes war der eingangs zitierte Volksrat-Abgeordnete Professor Eduard Rosenthal.

Unterdessen hatte sich auf Grundlage des Gemeinschaftsvertrages am 14. Juli 1919 in Weimar der Staatsrat von Thüringen als einheitsstaatliche Übergangsregierung unter Führung des deutschdemokratischen Weimarer Staatsministers Arnold Paulssen konstituiert. Drei Wochen später traten erstmals auch abgeordnete Vertreter der Landtage zusammen und bildeten mit dem Volksrat von Thüringen ein provisorisches Vorparlament. Derweil endeten die Verhandlungen mit Preußen über die Abtretungen von Gebieten ergebnislos: In den Überlegungen zur Landesgründung hatte bei den Taktgebern bis dahin das Streben nach einer „Großthüringer Lösung“ dominiert. Diese beinhaltete auch Gebiete des thüringischen Preußens, was den Regierungsbezirk Erfurt mit seinen eingeschlossenen Regionen im Süden inklusive des hessen-nassauischen Kreises Schmalkalden und weite Teile des Regierungsbezirkes Merseburg umfasste. Allerdings zeigte sich die Regierung des mächtigen Nachbarstaates bereits früh immun gegen sämtliche Werbeversuche für Gebietsabtretungen. Auch in der Bevölkerung herrschte eine Stimmung vor, die sich gegen den Anschluss an das neue Land Thüringen richtete. Vielmehr wurde der Ruf nach dessen Vereinigung mit Preußen, beziehungsweise nach der Bildung einer Verwaltungsgemeinschaft laut. Das war für die Entscheidungsträger in Weimar schon allein deshalb keine Option, da Goethes „Ilm-Athen“ hiermit den Status als Hauptstadt an die Industriestadt Erfurt verlieren sollte. Folglich scheiterten die Verhandlungen am 16. August 1919; übrig blieb allein eine „kleinthüringische Lösung“.

Am 30. November 1919 reduzierte sich die Zahl der dafür infrage kommenden Länder um den Freistaat Sachsen-Coburg: In einer Volksabstimmung über die territoriale Zugehörigkeit – der ersten ihrer Art im Deutschen Reich – stimmten rund 88 Prozent der Befragten gegen einen Anschluss an Thüringen und ebneten damit den Weg zur Vereinigung mit Bayern. Darüber hinaus schwankte zum Zeitpunkt auch das Parlament des Freistaates von Sachsen-Meiningen stark zwischen Zustimmung und Ablehnung. Erst nach Billigung von erheblichen Sonderrechten durch die übrigen Länder stimmte der Landtag am 11./12. Dezember nach einer heftigen Debatte – die vor allem durch Ängste vor einem Bedeutungsverlust befeuert worden war – für einen Beitritt zum Gemeinschaftsvertrag. Vier Tage später konstituierte sich der ordentliche Volksrat in der zukünftigen Landeshauptstadt Weimar mittels einer „Thüringer Nationalversammlung“. Am 4. Januar 1920 trat schließlich der „Gemeinschaftsvertrag über den Zusammenschluss der thüringischen Staaten“ in Kraft. Ihm gehörten sieben Länder an: Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Gotha, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen und der Volksstaat Reuß. Deren endgültige Vereinigung bedurfte ab diesem Zeitpunkt allein noch der reichsrechtlichen Manifestation und einer Verfassung.

Beinahe wäre der Prozess dennoch umgekehrt worden, als rechtsextreme Militärs und Politiker im Zuge des Kapp-Lüttwitz-Putsches am 13. März 1920 versuchten, die junge Republik zu stürzen: Nach dem Einmarsch der Marine-Brigade Ehrhardt in Berlin floh die Reichsregierung zunächst nach Dresden, später nach Stuttgart. Währenddessen proklamierten die Putschisten um den General der Reichswehr, Walther von Lüttwitz, den deutschnationalen Politiker Wolfgang Kapp zum Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten. Dagegen rief die legitime Reichsregierung zum Generalstreik auf. Zeitgleich kam es im gesamten Land zu andauernden Unruhen. In zahlreichen Regionen stürzten Mitverschwörer Regierungen nach „Berliner Muster“ und setzten Kommissare ein. Mitteldeutschland wurde aufgrund der vielen noch existierenden Kleinstaaten zu einem Zentrum der Ereignisse. Und in ihrer Konsequenz gefährdeten bewaffnete Abwehrreaktionen oftmals selbst das demokratische System. Zur „Befriedung“ des umkämpften Thüringens besetzte schließlich die Reichswehr Teile des Landes – teilweise unterstützt von rechtsextremen Zeitfreiwilligen-Verbänden, die zuvor noch gegen die Republik agiert hatten. Rund 200 Menschen verloren bei den Auseinandersetzungen innerhalb des neuen Landes ihr Leben; reichsweit kamen bis zu 3.000 um. Viele davon waren unbeteiligte Zivilisten. Letztlich setzten sich die Demokraten gegen jede Bedrohung erfolgreich zur Wehr, sodass auch der Prozess zur Landesgründung nur kurz unterbrochen wurde: Am 20. April 1920 passierte das „Gesetz, betreffend das Land Thüringen“ den Reichsrat und drei Tage später votierte auch die Nationalversammlung einstimmig dafür. Am 30. April 1920 wurde die daraus folgende Verordnung ausgefertigt, am 1. Mai 1920 trat sie in Kraft und das Land Thüringen nahm als einzige territoriale Neugründung in der Weimarer Republik Gestalt an. Zur formellen Konstituierung verabschiedete der Volksrat von Thüringen zwölf Tage später die Vorläufige Verfassung des Landes Thüringen – mehr als zwei Drittel der 36 anwesenden Abgeordneten gaben dem Papier ihre Ja-Stimme.

Seine Form verdankte das Grundgesetz des neuen Landes zum Großteil dem Sachverstand wie auch der Überzeugungskraft des Deutschdemokraten Eduard Rosenthal, der mit Recht bis heute als dessen „Vater“ geehrt wird. Aufbauend auf der Verfassung für den Freistaat Sachsen-Weimar-Eisenach und dem Grundrechtekatalog der Weimarer Reichsverfassung erarbeitete er letztlich ein modernes Manifest freiheitlich-demokratischer Werte, das sorgsam die Macht zwischen Regierung und Parlament austarierte, darüber hinaus aber auch Elementen der direkten Demokratie Platz einräumte. Nach knapp einjähriger Übergangszeit trat das Werk mit leichten Änderungen am 11. März 1921 endgültig in Kraft und besiegelte damit die Gründung des Landes Thüringen. Rechtlich betrachtet behielt es seine Gültigkeit bis zur Verabschiedung der neuen Landesverfassung nach dem Zweiten Weltkrieg am 20. Dezember 1946; de facto verlor es seinen Status bereits im „Dritten Reich“ mit Einführung des Gesetzes über die Gleichschaltung der Länder am 31. März 1933. Eduard Rosenthal erlebte beides nicht mehr. Als geachteter Ehrenbürger seiner Heimatstadt Jena war er nach schwerer Krankheit am 25. Juni 1926 im Alter von 72 Jahren verstorben. Er hinterließ seine Ehefrau Clara Rosenthal (geb. Elstaedter). Der einzige Sohn, Curt Arnold Otto, war nur wenige Wochen nach Beginn des Ersten Weltkrieges am 30. Oktober 1914 als Freiwilliger in Frankreich getötet worden. Noch zu Lebzeiten hatte das Paar daher seine größten Besitztümer 1924 an die Stadt Jena überschrieben. Neun Jahre später war die Weimarer Republik Geschichte und die Erinnerung an den demokratischen Prozess der Thüringer Landesgründung nurmehr ideologisch-negativ besetzt. Unsere Veranstaltung heute soll uns Anlass sein, an den in der deutschen Geschichte einmaligen Prozess vor 100 Jahren zu erinnern, in dem nicht ein Fürst oder ein Diktator bestimmt hat, sondern die Demokraten im Gleichschritt mit der Gesellschaft, unter widrigsten Bedingungen unser Land, den Freistaat Thüringen gegründet haben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!


Grabdenkmal für die Märzgefallenen des Bildhauers Selma Werner in Gera, Januar 2021.
Foto: Christian Faludi für die GEDG

Festvortrag von Dr. Marc Bartuschka anlässlich der Finissage der Wanderausstellung „Thüringen 1919. Zwischen Revolution und Landesgründung“ am 3. Oktober 2021, dem Tag der Deutschen Einheit, im Balkensaal der Osterburg Weida.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Hopfe, sehr geehrte Damen und Herren, unser Treffen steht im Zeichen der Ereignisse am Anfang des vergangenen Jahrhunderts, findet aber zugleich an einem Tag statt, der seinerseits ein Jubiläum ist – der Tag des Zusammenschlusses der beiden deutschen Nachkriegsstaaten, in großen Teilen ermöglicht durch die Friedliche Revolution in der Deutschen Demokratischen Republik, aber auch den Umbrüchen im übrigen Ostblock. Es war dieser Umbruch, der eine historische Chance bot, den Status quo tiefgreifend zu ändern.

Vor nunmehr gut 100 Jahren vollzog sich in den thüringischen Gebieten ein anderer Umbruch, der seinerseits drastische Veränderungen in der Grenzziehung und im politischen System brachte. Er begann mit dem Sturz von sechs adligen Regenten im Lande (und des Monarchen, der als preußischer König über weite Teile des heutigen Thüringens einschließlich der Hauptstadt Erfurt herrschte) in der Novemberrevolution 1918. Besser gesagt, den Novemberrevolutionen, denn auch wenn der Fokus mit einiger Berechtigung auf den dramatischen Ereignissen etwa in Kiel und Berlin liegt, fanden Revolutionen auch in anderen Zentren des Reiches statt. So in unmittelbarer Nähe – wenngleich diese Revolution gewaltlos verlief. Mehr als einen von der USPD organisierten Demonstrationszug mit roter Fahne und der Forderung nach Rücktritt des Monarchen bedurfte es in Greiz nicht, um Heinrich XXVII. des Hauses Reuß jüngerer Linie – der in Personalunion beide reußische Fürstentümer regierte – zu überzeugen, am 10. November die Abdankungsurkunde zu unterzeichnen. Nach zeitweiliger Herrschaft einer Revolutionsregierung folgten im Februar 1919 erstmals demokratische Wahlen. Bereits am 4. April wurde ein gemeinsamer Verfassungsentwurf und damit die Vereinigung der beiden jungen demokratischen Länder als Volksstaat Reuß verabschiedet – wegweisend auf die thüringische Einigung, die von Anfang an Teil der Agenda war.

Rasch mauserte sich Reuß zu einem der Motoren der thüringischen Einigung, vertreten durch den SPD-nahen Staatsminister Carl Freiherr von Brandenstein und den liberalen Minister William Oberländer. Und auch wenn die künftige thüringische Verfassung ein Kind von Weimar-Jena war, maßgeblich geprägt von Eduard Rosenthal, war der reußische Entwurf eines Staats- und Gemeinschaftsvertrages für die thüringischen Teilstaaten, der in weiten Teilen übernommen wurde, wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Landesgründung. So wichtig, dass etwa in Sachsen-Altenburg Befürchtungen laut würden, vom reußischen Nachbar ins Abseits gedrängt zu werden.

Mit der Landesgründung vom 1. Mai 1920, der Verabschiedung der Thüringer Verfassung vom 12. Mai 1920 und deren Inkrafttreten am 11. März 1921 hatte der Einigungsprozess seinen Abschluss gefunden. Man kann mit Fug und Recht von einer Reihe von Geburtstagen unseres Landes sprechen, doch leider hat in diesen von harten aber notwendigen Einschränkungen geprägten Zeiten keiner zu seinem 100. Jubiläum gefeiert werden können, wie das wünschenswert gewesen wäre.

Zugleich blieb der politische Umbruch in hohem Maße bedroht, und für einige Tage im Jahr 1920 sah es so aus, als würde das Rad der Geschichte noch einmal zurückgedreht werden.

Von Beginn an sah sich die entstehende Republik vor Herausforderungen von Seiten jener gestellt, denen die politischen Umbrüche nicht weit genug, oder aber bereits viel zu weit gingen. Das Jahr 1919 war geprägt von Unruhen und gewaltsamen Zusammenstößen, bei denen die neue Reichsregierung linkssozialistische Aufstandsversuche – oder was sie dafür hielt – mit äußerster Härte niederwarf. Sie bediente sich dabei auch verschiedener Freikorps, und diese wie die regulären Truppen schreckten nicht vor dem Einsatz schwerer Waffen oder dem Mord an Gefangenen zurück. Prominente Opfer waren Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht – insgesamt starben im Verlauf des Jahres 1919 über 3.000 Menschen, vor allem in Berlin (Spartakusaufstand im Januar und Märzunruhen) und Bayern (Niederschlagung der Münchener Räterepublik).

Trotz dieses harten Vorgehens gegen jede radikalisierende Fortsetzung der Novemberrevolution konnte die Reichsregierung – wie die demokratisch gewählten Landesregierungen – sich auf Teile des rechtskonservativen Spektrums nicht verlassen. Dort, wie in Teilen der bewaffneten Verbände sehnte mancher die Monarchie zurück, oder einen neuen starken Mann herbei. Vor allem aber war man nicht gewillt, die dem Deutschen Reich im Versailler Friedensvertrag auferlegten Beschränkungen hinzunehmen. Namentlich das Wirksamwerden der militärischen Einschränkungen war der Auslöser, der aus Verschwörungen die hochverräterische Tat werden ließ. Denn Anfang 1920 ging es darum, drei Viertel der rund 400.000 unter Waffen stehenden Soldaten zu demobilisieren – was den Verschwörern ihre Machtmittel geraubt hätte. In dieser Situation stellte der Oberbefehlshaber der im Norden und Osten des Landes stehenden Vorläufigen Reichswehr General Walther Freiherr von Lüttwitz am 10. März 1920 Reichspräsident Friedrich Ebert die Forderung die Demobilisierung zu stoppen und Neuwahlen anzusetzen. Am Folgetag de facto entlassen, gab Lüttwitz den rund 6.000 Mann der in Döberitz stehenden Marinebrigade Ehrhardt den Marschbefehl gen Berlin, die Regierung von Reichskanzler Gustav Bauer zu stürzen. In der Nacht vom 12./13. März marschierten die Meuterer.

Die Reichsregierung musste feststellen, dass ihre angeblichen Verteidiger in Form von Reichswehr und paramilitärischer preußischer Sicherheitspolizei nicht bereit waren, sich den Verrätern in den Weg zu stellen (charakterisiert durch den Spruch „Truppe schießt nicht auf Truppe“, General Hans von Seeckt zugeschrieben). So stießen die Putschisten – viele von ihnen trugen das in der völkischen Szene seit längerem beliebte weiße Hakenkreuz am Stahlhelm – in Berlin nicht auf organisierten Widerstand. Lüttwitz erklärte sich zum Reichswehrminister, der rechtradikale Politiker Wolfgang Kapp wurde zum Reichskanzler und Preußischen Ministerpräsidenten ernannt.

Die Reichsregierung floh, zunächst nach Dresden und, als sie feststellte, dass dem dortigen Reichswehrgeneral Georg Maercker nicht zu trauen war, nach Stuttgart. Der Putsch stieß besonders im Norden und Osten des Landes auf Widerhall, gerade in Offizierskreisen und bei Politikern der rechten Deutschnationalen Volkspartei und Teilen der Deutschen Volkspartei sowie bäuerlicher Organisationen. Viele Militärs hielten sich jedoch mit einem klaren Bekenntnis zurück. Bevor sie sich für die Meuterer erklärten, wollten sie abwarten, wie sich die Lage entwickelte – oder trauten ihren Mannschaften nicht, wenn es gegen die eigenen Regierungen ging. Die meisten Politiker der Parteien der Mitte verweigerten sich der Zusammenarbeit mit Kapp. Eine arbeitsfähige Regierung der Umstürzler kam deshalb nicht zusammen.

Vor der Flucht der Reichsregierung war im Namen der sozialdemokratischen Mitglieder ein Aufruf zum Generalstreik ergangen – dem sich die Gewerkschaften und Angestelltenverbände anschlossen. Bald entstanden überall im Land Aktionsausschüsse, die von den Vertretern der Arbeiterparteien dominiert wurden, namentlich der SPD und USPD. Die junge KPD schloss sich nach einigem Zögern an. Vielerorts stellte man bewaffnete Milizen auf, um Angriffe von Putschisten abzuwehren und den Streik abzusichern.

Die Ablehnung der bürgerlichen Politiker, die dezentrale Militanz der Arbeiterwehren, vor allem aber der Generalstreik, in dem ab dem 15. März (Montag) ca. 12 Millionen Menschen in Ausstand traten (bei ca. 62 Mio. Gesamtbevölkerung) bedeuteten das Scheitern des Putsches, der bereits am 17. März zusammenbrach. Die Kämpfe vor allem im Ruhrgebiet dauerten noch Wochen an, da die Reichswehr – zum Teil unterstützt von Verbänden, die eben noch gemeutert hatten – mit äußerster Brutalität gegen Arbeiterwehren vorging, welche ihrerseits weitergehende politische Forderungen stellten. Zuletzt waren bis zu 3.500 Menschen tot, tausende mehr verwundet.

Thüringen war auch wegen der vielen Lokalregierungen – die die Putschisten stürzen mussten, wollten sie die Kontrolle übernehmen – ein Zentrum der Kämpfe. Für Mittel- und Ostthüringen entscheidend erwies sich, dass der Oberbefehlshaber der zuständigen Reichswehrbrigade 16, Generalmajor Gustav Hagenberg (Dienstsitz Weimar), fest auf Seiten der Putschisten stand. Mit Hilfe Naumburger Truppen erklärte er am 14. März die Regierung von Sachsen-Weimar-Eisenach für abgesetzt, nachdem diese eine Zusammenarbeit mit den Verrätern verweigert hatte. Gegen den Generalstreik und den Widerstand der Arbeiter gelang es Hagenberg jedoch zu keiner Zeit, auch nur das gesamte Stadtgebiet Weimars unter Kontrolle zu bekommen. Wohl richteten seine Truppen vor dem Volkshaus ein Blutbad an, neun Menschen starben oder wurden tödlich verletzt, dutzende weitere verwundet. Letztlich aber scheiterte der Putsch am Widerstand demokratischer Politiker, dem Generalstreik und der Drohkulisse hunderter bewaffneter Arbeiter in Weimar und dem benachbarten Jena. Am 16. März gaben die Weimarer Putschisten klein bei und zogen einige Tage darauf in preußisches Gebiet ab.

Analog zu den Weimarer Ereignissen gingen am 14. März Putschbefehle an die Einheiten der Brigade 16. In der Altenburger Garnison verweigerten Mannschaften und Unteroffiziere ihren putschenden Offizieren den Gehorsam und die Meuterer wurden rasch von regierungstreuen Einwohnerwehren entwaffnet. Zwei Unbeteiligte kamen bei einem kurzen Feuergefecht im Kreuzfeuer ums Leben.

Wesentlich dramatischer entwickelte sich die Lage im reußischen Gera, wo ca. 500 Mann eines in die Reichswehr eingegliederten Freikorps-Bataillons mit Hilfe von bis zu 1.000 mobilisierten Zeitfreiwilligen (Quasi-Reservisten) putschten. Sie besetzen das Rathaus, Zeitungshäuser und andere strategische Punkte der Stadt. Die guten Beziehungen führender Putschisten zu den gestürzten Fürsten stützten den Verdacht, diese hätten ihre Hand beim Putsch im Spiel gehabt – was nie bewiesen werden konnte.

Die reußische Regierung verweigerte sich der Kooperation mit den Meuterern und floh nach Greiz. Am 15. März kam es zu einem machtvollen Streik, zahllose Menschen besuchten Demonstrationen in Gera. Als die Demonstranten auf die Stacheldrahtbarrieren stießen, kam es zu Zusammenstößen, die sich zu chaotischen Kämpfen ausweiteten. Leicht bewaffnete Aktivisten der Arbeiterparteien gelang es, die Putschisten schließlich nach acht Stunden zu entwaffnen. Vor allem die Zeitfreiwilligen standen wohl mehrheitlich nicht wirklich hinter dem Putsch. Das Blutvergießen war dennoch beträchtlich – zwei tote Soldaten (ein weiterer beging Selbstmord nach Scheitern des Putsches), 15 tote Einwohner, ca. drei Dutzend Verletzte. Am 19. März setzte man die Toten unter großer Anteilnahme bei. 

Im reußischen Land wurde am 20. März überraschend erneut Alarm ausgelöst – zwei kampfstarke Bataillone marschierten aus sächsischem Gebiet ein. Diese Verbände waren keine offenen Putschisten, jedoch in Plauen sehr konfrontativ aufgetreten und hart gegen den Aktionsausschuss vorgegangen, der den Generalstreik organisieren wollte. Bei einem Demonstrationszug waren acht Zivilisten von Soldaten erschossen worden. Ziel der Truppen war die Verstärkung von Leipzig, wo heftige Kämpfe zwischen Arbeiterwehren mit Zeitfreiwilligen und Reichswehr stattfanden.

Im Volksstaat Reuß riefen nun Kirchenglocken, Telefonanrufe, Fahrrad- und motorisierte Kuriere zu den Waffen. Binnen kurzem bewegten sich bis zu 2.000 dezentral geführte Milizionäre auf das Einsatzgebiet zu. Unterstützung kam grenzübergreifend aus Sachsen-Weimar-Eisenach und Sachsen-Altenburg. Der Versuch des Ministers William Oberländer mit den Soldaten zu verhandeln endete im Fiasko: Als die Truppen bei Naitschau Vorhuten der Arbeitermilizen entdeckten, schossen sie sofort. Der schwer grippekranke Parlamentär wurde als Geisel mitgenommen und verbrachte eine sehr ungemütliche Nacht, ehe man ihn schließlich laufen ließ.

Zeitgleich stießen ständig weitere Arbeiter-Milizverbände zum Geschehen und verwickelten die Truppen in Gefechte. Im Verlauf des 21. März lagen die Reichswehrtruppen bei Zickra schließlich fest – die Höhenzüge vor ihnen waren besetzt, ein Ausbruchsversuch über die Weiße Elster bei Berga scheiterte im Kugelhagel. Die Gefechte zwischen Naitschau, Zickra und Berga forderten ca. 13-15 Tote und einige Dutzend Verletzte. Letztlich mussten die Truppen vor der reußischen Regierung und den Arbeiterwehren kapitulieren, sie verloren zwei Drittel der Handfeuerwaffen und alle Maschinengewehre. Die Zusage, die Soldaten zurück in ihre Garnison zu schicken, brach die Reichswehr kurz darauf.

Zuletzt war Thüringen Anfang April noch als Durchzugsgebiet betroffen vom beinahe absurden „Hoelz-Feldzug“. Gegen den „Robin Hood des Vogtlandes“ Max Hoelz, der mit wenigen hundert Mann „Rote Garde“ die Gegend zwischen Plauen, Auerbach und Klingenthal durchstreifte, bot die Reichswehr wohl über 10.000 Mann mit Dutzenden Geschützen, mit gepanzerten Fahrzeugen, Luft- und Panzerzugunterstützung auf. Freilich beschloss die Reichswehrführung, beim Vormarsch Ostthüringen zu meiden – einen Kampf mit den Altenburgischen und Reußischen Arbeiterwehren wollte man nicht provozieren. Ein kleineres Reichswehrkommando wurde tatsächlich auf der Durchreise in Gera entwaffnet.

Auch wenn die Putschereignisse damit in einer halben Groteske endeten – die Folgen für Thüringen waren verheerend: Die Zahl der Toten im heutigen Landesgebiet betrug bis zu 250, die Verwundeten gingen in die hunderte. Ein Viertel oder mehr der Toten wurden nach ihrer Gefangennahme ermordet oder kamen um, als auf Demonstranten unter nichtigen Vorwänden das Feuer eröffnet worden war. 90 Prozent der Mordopfer gingen auf das Konto von Reichswehr, Sipo und Zeitfreiwilligen. Für den mitteldeutschen Großraum (Thüringen, südliche Hälfte von Sachsen-Anhalt und westliche Hälfte Sachsen) ist die Zahl der Opfer insgesamt auf ca. 700 Tote und einige tausend Verletzte zu beziffern. Zum Einsatz kamen auch Geschütze, Minenwerfer, Panzerfahrzeuge, Panzerzüge und Flugzeuge. Man kann von einem sehr kurzen, aber heftigen Bürgerkrieg sprechen, bei dem sich allein in Mitteldeutschland mindestens 10-15.000 Mann in Kampfhandlungen gegenüberstanden.

Die Forderungen nach einer juristischen Aufarbeitung und Bestrafung der Putschisten scheiterten weitestgehend an einer reichsweiten Amnestie – auch Generalmajor Hagenberg blieb straffrei. Für den Rest der Weimarer Republik blieb der Kapp-Lüttwitz-Putsch ein heftig umstrittenes Thema, auch in der Publizistik – die von apologetischer Putschistenliteratur bis zu Veröffentlichungen der KPD reichte. Ähnliches galt für die Denkmalkultur. In Weimar entstand als wahrhaft bahnbrechendes Denkmal der „Blitz“ nach einem Entwurf von Walter Gropius (das erste abstrakte Denkmal), in Gera ein größeres Mahnmal mit Familiengruppe. 

Im Nationalsozialismus verlor das Gedenken nach anfänglichen Feiern (der Militärs – natürlich) rasch an Bedeutung. Die Nationalsozialisten feierten lieber ihre eigenen Helden (namentlich die Toten des Hitlerputsches von 1923). Denkmäler für gefallene Arbeiter wurden vernachlässigt, oder gleich vernichtet.

Nach dem Krieg bemächtigte sich in Ostdeutschland zunehmend die SED des Themas. Jetzt wurde die Rolle der KPD überbetont, nichtkommunistische Akteure verleumdet oder beschwiegen. So ist etwa das Bild von Bernhard Heisig „Die Geraer Arbeiter am 15. März 1920“ ein gutes Beispiel – um 1960 entstanden, aber den „Kunden“ zu wenig heroisch, wurde es jahrzehntelang beiseite gestellt, bis der Künstler es Anfang der 1980er überarbeitete. Nun fand es – in der rechten Hälfte übermalt, dramatisiert und mit historisch für Gera nicht belegten Hakenkreuzen auf den Stahlhelmen der Putschisten versehen – Anklang. Doch das geschah nur gut fünf Jahre vor dem Ende der DDR…

Nach 1990 brach dieses verordnete Gedenken ein – Straßen, die nach Gefallenen benannt wurden, verloren oft ihre Bezeichnung, Gedenktafeln wurden abmontiert, Erinnerungsstätten schlossen bzw. worden vernachlässigt. Das große Mahnmal in Zickra fiel offenbar dem Straßenbau zum Opfer, die Gedenktafel und eine örtliche Ausstellung zum Thema waren trotz allen Nachforschens unauffindbar. Mitunter gab es Versuche der Neubewertung, die neuerdings die Vergangenheit zurechtbogen. So wurde die Kapitulation der Reichswehr in Zickra als „Vernunfthandlung“ eines Reichswehroffiziers dargestellt, der Blutvergießen der unterlegenen Arbeiter vermeiden wollte. Dies fußte in keiner Weise auf Fakten – auch der Bericht des Reichswehrkommandeurs widersprach dieser Darstellung.

Man sieht, das Thema bleibt bis heute hoch umstritten, ist aber zweifellos der Erinnerung und Diskussion wert. Der Kapp-Lüttwitz-Putsch zeigte, dass einem gefährlichen Angriff auf die Demokratie Einhalt geboten werden konnte, und dies ist etwas, was auch 100 Jahre danach Aufmerksamkeit verdient.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!