Der Klang der Stolpersteine und das Netzwerk 9. November
Klang der Stolpersteine
Die Geschichte Weimars ist durchzogen und geprägt von den Taten der Nationalsozialisten. Daraus erwächst die Aufgabe, das Erinnern an die Gewaltgeschichte sowie an dessen Opfer vor Ort wach zu halten. Am 9. November – ein Tag der in Deutschland mittlerweile ganz im Zeichen des Erinnerns und Gedenkens an historische Ereignisse und Umbrüche steht – wird ab dem Jahr 2023 in Weimar ein dezentrales musikalisches Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus stattfinden. Inspiriert durch das gleichnamige Jenaer Projekt „Der Klang der Stolpersteine“ und initiiert durch die GEDG in Kooperation mit der Hochschule für Musik Franz Liszt, werden Chöre und Musikgruppen an verschiedenen Stolpersteinen in der Stadt das Gedenken gestalten. Ihren Auftakt findet die Veranstaltung am Marstall und, nach dem Erklingenlassen der Stolpersteine, ihren Abschluss mit einem gemeinsamen Singen auf dem Theaterplatz.
Neben dem vielstimmigen Gedenken an den in Weimar vor allem jüdischen Menschen gewidmeten Stolpersteinen, geht es dem Projekt auch darum, heute ein Zeichen gegen Menschenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Antisemitismus zu setzen. Es ist außerdem das Anliegen des für dieses Projekt gebildeten „Weimarer Netzwerkes 9. November“ zwischen zivilgesellschaftlichen Akteur:innen und Initiativen, eine langfristige Zusammenarbeit zu stiften und den symbolischen Klang der Stolpersteine in Zukunft zu einem festen Bestandteil des Weimarer Gedenkens werden zu lassen.
Das Weimarer „Netzwerk 9. November“
Im Datum des 9. November verdichtet sich die deutsche Geschichte in ihrer ganzen Ambivalenz. Wie an keinem anderen Tag im Kalender überlagern sich hier Ereignisse voller Freud und Leid, Tragik und Glück:
Im Morgengrauen des 9. November 1848 wurde der demokratische Revolutionär Robert Blum in Wien standrechtlich erschossen. Die Schüsse zielten nicht allein auf die Brust des Freiheitskämpfers, sie zielten auch auf die revolutionäre Menge hinter ihm und zugleich auf deren Streben nach Einigkeit und Recht und Freiheit. Am Ende scheiterten alle Bemühungen, und es sollte 70 Jahre und einen Weltkrieg dauern, bis sich die Deutschen erfolgreich gegen ihre Monarchen auflehnten. Am 9. November 1918 gewannen die Aufständischen in Berlin die Oberhand, der Kaiser war geflohen, die Republik wurde gleich zweimal ausgerufen. Damit setzte nicht nur eine politisch-gesellschaftliche Zeitenwende ein; auch die Deutung der demokratischen Geschichte trat in eine neue Dimension. Von linksradikaler Seite als unvollendet gegeißelt, war die Novemberrevolution in rechten Kreisen von Anfang an so verhasst, dass rechte Eliten um Adolf Hitler am 9. November 1923 den Sturm auf die Weimarer Republik wagten. Mit der erfolgreichen Zerstörung der „Judenrepublik“ durch ihre antidemokratischen Feinde und auf dem Weg zur Diktatur des „Dritten Reiches“ wurde der Antisemitismus schließlich 1933 zur Staatsdoktrin. Nach einem politisch gesteuerten Prozess rassistischer und antisemitischer Ausgrenzung brach sich am 9. November 1938 Gewalt Bahn. Synagogen brannten, jüdische Friedhöfe wurden geschändet, Geschäfte geplündert, Jüdinnen und Juden angefeindet, gedemütigt, geschlagen, ermordet und zu Tausenden in Konzentrationslager verschleppt. Der Terror war spätestens jetzt nicht nur für alle Deutsche sichtbarer denn je geworden, er war auch eine Aufforderung zur Mitwirkung– welcher nicht wenige bereitwillig Folge leisteten. Mit der Zustimmung zur und Unterstützung bei der kompromisslosen Ausgrenzung schritt die Dynamik der Radikalisierung voran, an deren Ende mit der Shoah das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte stand. Nach dem Zweiten Weltkrieg und Millionen Toten sollte es fast ein halbes Jahrhundert, die Teilung Deutschlands in vier Besatzungszonen und die Gründung von zwei deutschen Staaten (über)dauern, bis das „schicksalhafte“ Datum im Jahr 1989 erneut mit einem herausragenden Ereignis in der Geschichte unseres Landes besetzt wurde: Auf dem Höhepunkt der Friedlichen Revolution fiel an diesem Tag unter der leidenschaftlichen Losung „Wir sind das Volk“ die Mauer zwischen Ost und West – was nicht nur die Deutschen und ihr zusammenwachsendes Land, sondern über Europa hinaus die ganze Welt nachhaltig veränderte.
Die Gesellschaft zur Erforschung der Demokratie-Geschichte (GEDG) hat u.a. den Auftrag, die demokratische Erinnerungskultur aktiv zu gestalten und damit die Identifikation mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unseres Zusammenlebens zu stärken. Das in diesem Zusammenhang initiierte „Netzwerk 9. November“ schafft die notwendige Basis, um alljährlich in gemeinsamer Anstrengung am „Gedenktag der Deutschen“ ein Zeichen gegen Menschenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Antisemitismus und für ein demokratisches Miteinander zu setzen. Die Mitglieder des Netzwerkes machen es sich zur Aufgabe, die Geschichte durch gemeinsame Aktionen sichtbar(er) zu machen und Veranstaltungen durchzuführen, an denen eine breite Öffentlichkeit teilhaben kann. Koordiniert wird das „Netzwerk 9. November“ von der GEDG.
Sie interessieren sich für die Arbeit des Netzwerks oder wollen ihm beitreten: Kontaktieren Sie uns unter info@gedg.org.