Essay

„Ich sterbe für die Freiheit“. Wer kennt Robert Blum?

Ein Essay von Sarah Traub aus dem Prospect 22, Bulletin der GEDG

Robert Blum – Publizist und Vereinsgründer in Leipzig, Paulskirchenabgeordneter in Frankfurt am Main, Barrikadenkämpfer in Wien – gehört zu den bedeutendsten Freiheitskämpfern der Revolution von 1848. An seine Erschießung am 9. November 1848 erinnern heute vor allem Gemälde, Lieder und Gedichte. Hinzu kommt ein weit verbreitetes Sprichwort: „Erschossen wie Robert Blum“. Doch in der Erinnerungskultur war Robert Blum lange Zeit keine Figur, der öffentlichkeitswirksam gedacht wurde. Wohl die wenigsten wussten  oder wissen, wer Blum war, wofür er sich einsetzte und welche Verbindungen er zu unseren demokratischen Traditionen besaß und besitzt. Ihm zu Ehren tragen in Deutschland immerhin rund 50 Straßen und Plätze seinen Namen; die meisten davon befinden sich in Ostdeutschland. Zum Vergleich: Bei der historisch umstrittenen Person Paul von Hindenburg sind es 436, wobei nahezu alle im Westen angesiedelt sind.

Dieses fehlende Erinnern an einen der wichtigsten Wegbereiter der Demokratie liegt auch begründet im generellen Umgang mit der Aufarbeitung von und Erinnerung an die Freiheitsbewegungen des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts. Die Erinnerungskultur in Deutschland ist geprägt von der Diktatur- und Schreckensgeschichte des 20. Jahrhunderts. Die Auseinandersetzung damit gehörte und gehört auch in Zukunft zu den wichtigsten Säulen der historisch-politischen Bildungsarbeit und Gedenkkultur. Die Erinnerung an die lange Tradition der deutschen Freiheitsbewegungen, dem Ringen um politische Partizipation, Grundrechte und Gleichberechtigung blieb lange Zeit im Hintergrund. Erst seit einigen Jahren ist hier ein deutlicher Bedeutungszuwachs zu vermerken. Dabei geht es um die bewusste Auseinandersetzung mit der Demokratie, demokratischen Werten und dem Weg zu unserem heutigen Verständnis für politische Konzepte – sowie dem Kampf dafür. Neben Beispielen des Scheiterns, der Diktatur und der Verfolgung zeigt dies, dass es auch in Deutschland eine Geschichte der Demokratie zu entdecken, aufzuarbeiten und zu erleben gilt.

Mit Erinnerungsorten wie der Mainzer und Bergzaberner Republik, den politischen Festen auf der Wartburg oder in Hambach und der Revolution von 1848/49 sowie der Reichsverfassungskampagne – um nur einige Beispiele zu nennen – verfügt Deutschland über zahlreiche traditionsreiche Orte der Demokratiegeschichte aus der Zeit des Konstitutionalismus. Ebenso verhält es sich mit prominenten und (leider) weniger prominenten Wegbereiterinnen und Wegbereitern der Demokratiegeschichte wie etwa Georg Forster, Friedrich Lehne, Philipp Jakob Siebenpfeiffer, Mathilde Franziska Anneke oder eben auch Robert Blum. Außerhalb der entsprechenden Forschungslandschaft kennen wohl die wenigsten Deutschen diese Personen. „Die Ideen aber, für die Robert Blum, Adam von Itzstein, Louise Otto-Peters und viele andere damals kämpften, sie lebten fort – in den Abgeordnetenhäusern der Einzelstaaten, in liberalen und demokratischen Parteien, in Arbeiterbildungsvereinen und Gewerkschaften. Und sie lebten wieder auf – in der Revolution von 1918 und der Weimarer Nationalversammlung, im Widerstand und im Exil zur Zeit des Nationalsozialismus, 1949 im Parlamentarischen Rat in Bonn und 1989 in der Friedlichen Revolution in der DDR. Es waren Ideen, die in die Zukunft wiesen und die heute zum demokratischen Erbe dieser Republik gehören.“, so Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Einweihung des neuen Robert-Blum-Saals im Schloss Bellevue am 9. November 2020.

Das Datum der Einweihung zeigt eine weitere wichtige Perspektive: Gleichsam mit der Erinnerung an die Figur Robert Blum gewinnt auch das des 9. Novembers einen weiteren Aspekt zusätzlich zu den präsenter verwurzelten Gedenktagen an Bedeutung. Neben der Erinnerung an den Beginn der ersten gesamtdeutschen Republik 1918, den Hitler-Ludendorff-Putsch 1923, den Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung 1938 und dem Fall der Berliner Mauer 1989 gilt der 9. November als Tag, an dem Robert Blum in Wien standrechtlich erschossen wurde, auch als Tag des Scheiterns der Märzrevolution 1848. Der 9. November bildet in der deutschen Geschichte damit einen unvergleichlichen Kristallisationspunkt für die dunklen Kapitel wie auch für die bedeutsamen freiheitlichen Meilensteine. Er zeigt die Ambivalenzen sowie Licht und Schatten der Vergangenheit.

Wer war Robert Blum?

Robert Blum kam am 10. November 1807 in Köln in einfachen Verhältnissen zur Welt. Sein Vater stammte aus einer Handwerkerfamilie und arbeitete nach einem abgebrochenen Theologiestudium als Schreiber in einer Fabrik. Bereits 1815 starb er an Tuberkulose. Die Familie hielt sich mit Näharbeiten der Mutter über Wasser, Robert kümmerte sich um seine kleinen Geschwister. Eine zweite Ehe der Mutter mit einem Rheinschiffer änderte wenig an den ärmlichen Verhältnissen.

Das Geld der Familie genügte nicht, um Robert Blum einen Besuch des Gymnasiums zu ermöglichen. So blieben erste Förderungen durch die Priester der Kirchengemeinde ohne Auswirkungen. Nach dem Schulabgang begann Blum verschiedene Lehren, die er jedoch vorzeitig abbrach; es folgten diverse kurze Anstellungen. Schließlich erhielt er 1830 eine Anstellung als Diener am Kölner Theater. In der Branche fasste Blum langfristig Fuß, arbeitete sich zum Theaterbibliothekar, Prokuristen und Buchhalter hoch – zunächst in Köln, ab 1832 in Leipzig. Blum war sein Leben lang Autodidakt. Trotz fehlender Schulbildung und der Herkunft aus einfachen Verhältnissen eröffneten sich ihm aufgrund seines Fleißes und seiner Talente erstmals Möglichkeiten zum Aufstieg.

Neben organisatorischen Aufgaben wie Verhandlungen mit den Kommunalbehörden, dem Aushandeln von Verträgen und dem Umgang mit Kritikern verfasste er in den 1830er Jahren erste Schriften – zumeist literarische Werke. Thematisch beschäftigten sich diese bereits mit den deutschen und europäischen Freiheitsbewegungen. Zwischen 1839 und 1842 arbeitete Blum an einem siebenbändigen Theaterlexikon.

Parallel zu seiner Tätigkeit am Theater wurde Robert Blum in den 1830er Jahren auch politisch aktiv. Er kam über seine Tätigkeit in Kontakt zu Oppositionellen, Schriftstellern und Intellektuellen. Wie in diesen Kreisen üblich, schlossen sich die Gleichgesinnten in Klubs und Gesellschaften zusammen, wo in einer nach außen scheinbar unpolitischen Gemeinschaft hinter verschlossenen Türen durchaus politische Debatten stattfanden und Ideen ausgetauscht wurden. Blum wurde Vorsitzender der Leipziger Kegelgesellschaft und tat sich durch „große Redegewandtheit“ hervor. Als 1840 in Leipzig der 400. Jahrestag der Erfindung des Buchdrucks gefeiert wurde, entstand kurz darauf der Leipziger Literatenverein, an dessen Gründung Blum maßgeblich beteiligt war. Dem Verein schlossen sich bald Schriftsteller, Gelehrte, Verleger und Buchhändler aus ganz Deutschland an. „Eine lange Zeit Vorsitzender dieses Schriftstellervereines, erfuhr ich frühzeitig, wohin die literarische Welt einzig und allein drängte. Unsere literarischen Eigentumsinteressen wurden nur nebenher wie Stiefkinder behandelt, und Robert Blum, obwohl gar kein Schriftsteller, führte die Linke des Vereins unentwegt zu politischen Äußerungen.“, urteilte Heinrich Laube (1806-1884) später über die Vereinstätigkeit.

In den folgenden Jahren wurde Robert Blum zunehmend publizistisch tätig: 1840 erschien erstmals Blums Zeitung Sächsische Vaterlandsblätter, 1843 wurde der Vorwärts! veröffentlicht. Die Vaterlandsblätter erschienen zunächst dreimal wöchentlich. Sie bildeten das Organ der linksbürgerlichen Opposition, die sich um Robert Blum und seine Kreise formiert hatte. Er selbst wollte mit dem Blatt die Ideen dieser Kreise in die Breite der Bevölkerung tragen. Thematisch beschäftigten sich die Vaterlandsblätter mit der Presse- und Meinungsfreiheit, aber auch mit der Frage der deutschen Einheit und bürgerlichen Freiheiten wie öffentlichen Gerichtsverfahren. Letzteres führte dazu, dass Blum 1844 für einen Artikel eine zweimonatige Haftstraße absitzen musste.

Spätestens ab 1845 trat Blum auch vermehrt öffentlich auf. Im Zusammenhang mit dem sogenannten Leipziger Gemetzel – Unruhen während des Besuchs des sächsischen Prinzen in Leipzig am 12. August – hielt Blum eine Rede auf dem Marktplatz. Des Weiteren hielt er Kontakt zum Hallgartenkreis um Adam von Itzstein (1775–1855), einer Versammlung liberaler Politiker.

Den Beginn der Revolution von 1848 erlebte Robert Blum am 29. Februar in Sachsen. Nach Bekanntwerden der revolutionären Ereignisse in Frankreich forderte er auf einer Stadtratssitzung und später bei einer Rede vom Rathausbalkon in Leipzig den Sturz der sächsischen Regierung. In Frankfurt am Main wählten die Abgeordneten Blum im April 1848 zu einem der vier Vizepräsidenten des Vorparlaments, später wurde er Teil des Fünfzigerausschusses. Blum gehörte dem Lager der Demokraten an, die sich für die Schaffung einer Republik einsetzten. Im Paulskirchenparlament war er Teil des gemäßigten linksliberalen Spektrum und begründete die Fraktion des Deutschen Hofes. Er forderte allgemeine Menschenrechte, auch für die unteren Schichten, sowie Bürgerrechte. Zudem gehörten das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit und die Erweckung der Arbeiterschaft zu einem selbständigen und selbstbewussten Teil der Gesellschaft zu seinen Zielen.

Als im Oktober 1848 in Wien Menschen auf die Barrikaden gingen, reiste Blum gemeinsam mit anderen Frankfurter Delegierten nach Wien, um eine Solidaritätsnote zu überbringen. Vor Ort nahm er dann jedoch auch aktiv an den Barrikadenkämpfen teil, wurde verwundet und nach der Niederschlagung des Aufstandes Ende Oktober verhaftet. Trotz seiner Immunität als Abgeordneter wurde er vor ein Gericht gestellt, als Aufrührer verurteilt und am 9. November 1848 standrechtlich hingerichtet. Der Legende nach lauteten seine letzten Worte: „Ich sterbe für die deutsche Freiheit, für die ich gekämpft habe, möge das Vaterland meiner eingedenk sein.“

Sein Tod machte Blum zum Märtyrer der Revolution. Die Achtung vor seiner Person und seinen Idealen verband nahezu alle Demokraten des ersten deutschen Parlaments über die Fraktionsgrenzen hinweg. Blums Forderungen nach politischer Mitbestimmung der Bürger,einer parlamentarischen Verfassung, einem Rechtsstaat, sozialer Sicherheit und nach freiem Zugang zur Bildung gehören bis heute zu den wichtigsten gesellschaftspolitischen Kernfragen.

Die Erinnerung an Robert Blum

Robert Blum gehörte 1848 zu den bekanntesten Männern Deutschlands. In den liberal-demokratischen Kreisen wurde er verehrt – in den konservativen genauestens beobachtet. Die Nachricht von den Umständen seines Todes verbreitete sich wie ein Lauffeuer, die Zeitungen waren voll von Meldungen und Berichten. Darunter war auch der Abdruck seines Abschiedsbriefes an seine Frau. Empörung und Fassungslosigkeit in der Bevölkerung über seine Erschießung machten Blum schnell zum Symbol und Märtyrer. In der Folge erschienen ihm zu Ehren Gedenkmünzen, Bilder, Büsten, sogar Blum-Kartenspiele und -Pfeifenköpfe. In Leipzig strömten am 26. November rund 12.000 Menschen zu einer Trauerfeier, Tausende versammeln sich in anderen Städten, um den Toten zu ehren.

Der 9. November markiert den Wendepunkt der Revolution 1848. Die restaurativen und konservativen Kräfte gewannen an Boden, so auch die Gegenrevolution. Ein republikanisches Staatsmodell schien nicht mehr greifbar. Die Mehrheit der Paulskirchenabgeordneten wollte sich nun mit dem preußischen König arrangieren – doch auch Friedrich Wilhelm IV. sah die Chancen für die Revolution schwinden. Diese Entwicklung sollte auch die Erinnerung an Robert Blum in den kommenden Jahrzehnten bestimmen. Mit dem Scheitern der Revolution 1848/49 gerieten ihre „Helden“ und Fürsprecher in Vergessenheit. Die nationalliberale Politik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verdrängte allmählich die Erinnerung an die Revolution – und an Robert Blum. Erste Biografien der Reaktion beurteilten den Freiheitskämpfer als Aufrührer und versuchten seine Ermordung zu rechtfertigen. In der Weimarer Republik konzentrierte sich die Erinnerung vorwiegend auf den Beginn der Revolution 1848 und die parlamentarische Tradition der Paulskirche. Blum wurde aufgrund seiner Beteiligung an den Barrikadenkämpfen und dem gewaltsamen Tod mit seinem radikaldemokratisch-revolutionären Erbe erst spät rehabilitiert. Das eingangs beschriebene schwierige Verhältnis zu den demokratischen Traditionen des 18. und 19. Jahrhunderts trug weiter dazu bei.

Wie bei vielen anderen Personen, Orten und Ereignissen der frühen Demokratiegeschichte versuchte auch die Kulturpolitik der DDR, Robert Blum für sich zu vereinnahmen. Dem trat ab 1970 der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann entgegen und rief dazu auf, die revolutionären Traditionen und freiheitlichen Bewegungen nicht der DDR-Führung für deren Zwecke zu überlassen. Er setzte sich für mehr Engagement für das Erbe der 1848er-Revolution im Westen ein, und für mehr Gerechtigkeit für Robert Blum.

Und heute?

Der Historiker Ralf Zerback beschrieb Blum bei den Feierlichkeiten zur Einweihung des nach ihm benannten Saales im Schloss Bellevue als „einen ‚Urvater‘ unserer Verfassung“. Als der wohl berühmteste Abgeordnete der Paulskirche hielt er fest an der Idee des Parlamentarismus, auch als andere sich bereits zu Kompromissen bereit erklärt hatten. Sein Tod machte Blum zum Mythos und zur Kultfigur. Er steht heute gleichsam für die Ideen der Revolution von 1848 mit der Aufbruchstimmung in der Paulskirche wie auch für das Scheitern dieser Revolution als so bedeutsamen Teil der deutschen Demokratiegeschichte.

Die Erinnerung an den 9. November mit all seinen Ambivalenzen gehört zu den Aufgaben von Forschung, Politik und Gesellschaft. Vor allem in Bezug auf die positiven Traditionen der deutschen Demokratie gab es in der Vergangenheit und gibt es bis heute Defizite. Der Umgang mit einer Persönlichkeit wie Robert Blum ist dafür symptomatisch.

Seit einigen Jahren beginnt sich das Bild langsam zu ändern. Zu den bisherigen Erinnerungsorten für Robert Blum kam eine Briefmarke (2021), verschiedene Preise und Ehrungen in seinem Namen (etwa der Robert-Blum-Demokratiepreis der Stadt Leipzig ab 2024) und nicht zuletzt ein Saal im Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten (2020). Langsam, aber erkennbar, wird der Versuch unternommen, die Erinnerung an Robert Blum wieder in die Öffentlichkeit zu tragen und sie lebendig zu halten. Diese für die demokratiegeschichtliche Erinnerungskultur erfreuliche Entwicklung ist Teil einer generellen – wenn auch zögerlichen – Entwicklung, die ein stärkeres Bewusstsein für die demokratischen Traditionen fordert und fördert. Sie ist allenthalben auch für andere Wegbereiterinnen und Wegbereiter der Demokratie zu erkennen, wie für die deutschen Freiheitsbewegungen im Allgemeinen.

Noch haben diese Bemühungen nicht dazu geführt, dass Robert Blum einen Platz unter den großen Personen der deutschen Erinnerungskultur eingenommen hat. Es bleibt zu hoffen, dass die Anstrengungen der vergangenen Jahre weitergeführt werden. Durch einen stetigen Einsatz im Bereich der historischen Forschungslandschaft, der (Kommunal-)Politik, lokaler Initiativen und der historisch-politischen Bildung sollte weiter daran gearbeitet werden, die freiheitlichen und demokratischen Traditionen Deutschlands stärker in das Bewusstsein und in die Erinnerung zu rücken.

Sarah Traub, GEDG