Förderer der Thüringer Landesgründung und erster Ministerpräsident des Freistaats 1920
Arnold Paulssen, der erste Ministerpräsident des Freistaats Thüringen 1920, ist heute nahezu in Vergessenheit geraten – zu Unrecht, erwarb er sich doch große Verdienste um die demokratische Entwicklung in Deutschland. Die GEDG trägt diesem Umstand Rechnung, indem sie den linksliberalen Politiker im öffentlichen Raum sichtbar macht und biographische Forschungen zu seiner Person anregt.
Am Beginn aller Vorhaben stand die Erkenntnis, dass Arnold Paulssen dem kulturellen Gedächtnis verloren gegangen ist. Besonders deutlich wurde dieser Umstand anlässlich des Landesjubiläums „100 Jahre Freistaat Thüringen“, das federführend von der GEDG-Schwesterorganisation Weimarer Republik e.V. oganisiert wurde. Im Nachgang machte GEDG-Projektleiter Dr. Christian Faludi einen Nachfahren von Arnold Paulssen ausfindig und baute Kontakte zur Familie auf. Infolge eines Besuches bei Ottokar Groten, dem Urenkel des ersten „Thüringer Landesvaters“, gelang es im Juli 2022, den umfangreichen privaten Nachlass von Arnold Paulssen für die wissenschaftliche Auswertung zu sichern und als Deposit in das Thüringer Landesarchiv zu überführen.
Parallel zur Nachlasssicherung wurden Anträge zur Benennung einer Straße nach Arnold Paulssen und der Anbringung einer Tafel am ehemaligen Wohnhaus des Politikers an die Stadtverwaltung Weimar gestellt. Am 29. November beschied der Kulturausschuss in seiner Sitzung die Genehmigung für die Tafel. Noch in der selben Woche erfolgte deren Montage in der Weimarer Steubenstraße 48.
Am 5. Dezember kam es zur Tafelweihe: Nach der Begrüßung durch Dr. Christian Faludi enthüllten Ottokar Groten und Minister Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff den Travertin unter Beisein der Besitzer des Hauses, der Familie Dr. Reinhart Schreiber, der Presse und der Öffentlichkeit.
Die Broschüre zur Veranstaltung steht hier zum Download bereit.
Begleitet wurde die Weihe von einer Podiumsveranstaltung in der Weimarer Notenbank, bei der Dr. Bernhard Post (ehem. Leiter des Landesarchivs Thüringen) den Festvortrag hielt. Die Kulturdirektorin Julia Miehe begrüßte für die Stadt Weimar, Stephan Zänker für den Vorstand der GEDG. Auf dem Podium diskutierten neben Ottokar Groten, Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff und Bernhard Post. Am selben Tag erfolgte die offizielle Übertragung des Nachlasses an das Landesarchiv Thüringen, das von Dr. Frank Boblenz vertreten wurde.
Den vorläufigen Höhepunkt aller Aktivitäten bildete die Benennung der Vertretung des Freistaats Thüringen beim Bund in Arnold-Paulssen-Haus im Juni 2023. Das Gebäude, selbst ein Produkt der Demokratiegeschichte nach der Friedlichen Revolution von 1989, ist seit jeher immer auch ein Ort der historisch-politischen Bildungsarbeit gewesen. Mit der Entscheidung, dem Impuls der GEDG zu folgen und das Haus nach einer Persönlichkeit der Demokratiegeschichte zu benennen, machte die Thüringer Landesregierung darüber hinaus deutlich, dass sie sich ihrer Verantwortung bewusst ist, durch die erweiterte Förderung der Erinnerungs- und Bildungsarbeit einen Beitrag zur Gestaltung unserer Demokratie in Gegenwart und Zukunft zu leisten. Zugleich würdigt sie das Lebenswerk des Geehrten, mit dessen Namen sie sich nunmehr schmückt. Dass dieser bis vor kurzem nur einem kleinen Kreis bekannt war, stellte dabei kein Hindernis dar. Vielmehr ist mit der Entscheidung der Gedanke verbunden, biographischen Forschungen zu (vergessenen) Persönlichkeiten der deutschen Demokratiegeschichte künftig mehr Gewicht verleihen zu wollen, um die daraus gewonnenen Erkenntnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Arnold Paulssen soll also mehr sein als der Namensgeber eines Gebäudes. Er soll ständiger Impulsgeber und Vorbild sein.
Am 8. Juni 2023 fand der feierliche Festakt zur Benennung der Landesvertretung des Freistaates Thüringen in Arnold-Paulssen-Haus statt. Minister Benjamin-Immanuel Hoff und Staatssekretär Malte Krückels hatten eingeladen und ein zahlreiches Publikum war dem Ruf in die Berliner Mohrenstraße gefolgt. Nach einer Ansprache des Ministers, in der er die Einzigartigkeit des Vorhabens hervorhob, das moderne, im Bauhausstil errichtete Gebäude als erstes seiner Art nach einer Persönlichkeit der Demokratiegeschichte zu benennen und sagte: „Mit der Benennung des Hauses wollen wir Arnold Paulssen über die Grenzen Thüringens hinaus bekannt machen und ihn als Verteidiger der Demokratie auch in prekären Zeiten ehren“, folgte der Weiheakt. Das Tuch enthüllte neben dem Redner auch Arnold Paulssens Ururenkelin Katarina Ganslandt, die ebenso wie Paulssens Urenkel Ottokar Groten angereist war.
Nach einer Ansprache des Staatssekretär Malte Krückels – in gewisser Weise ein Nachfolger von Arnold Paulssen auf dem Posten des Bevollmächtigten in Berlin – diskutierten der Leiter des Archivs des Liberalismus der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal, Ewald Grothe, und der GEDG-Projektleiter und Initiator des Paulssen-Projekts, Christian Faludi, vor dem zahlreich erschienenen Publikum unter der Moderation von Minister Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff über die Geschichte des deutschen Liberalismus im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, über den Aufstieg und den tiefen Fall der Deutschen Demokratischen Partei und die politischen Persönlichkeiten, die ihn begleiteten. Während Ewald Grothe in seinem Schlusswort vor allem darauf hinwies, dass wir heute genau auf strukturelle Entwicklungen im politischen Gefüge achten müssen, um Fehler der Vergangenheit zu vermeiden, betonte Christian Faludi noch einmal die Notwendigkeit, der Erforschung und Vermittlung von Demokratiegeschichte mehr Gewicht zu verleihen. Dabei komme der Erinnerung an (vergessene) Persönlichkeiten, die sich verdient gemacht haben und heute als Identifikationsfiguren dienen können, eine besondere Bedeutung zu. Er dankte deshalb Minister Hoff und der Landesregierung für diesen bemerkenswerten Schritt, die Botschaft des Freistaates in Berlin in Arnold-Paulssen-Haus zu benennen und gab der Hoffnung Ausdruck, dass dieser Schritt auch in anderen Bundesländern Schule machen und bundesweit Impulse für eine verstärkte Beschäftigung mit den Akteuren der deutschen Demokratiegeschichte geben möge.