Die erste ord. Professorin an einer deutschen Universität
1884 in eine wohlhabende hannoversche Bauernfamilie geboren, gehörte Mathilde Vaerting zur ersten Generation von Studentinnen, die von der Öffnung der Universitäten im Kaiserreich profitierten. Als Akademikerin wurde sie mit ihren Theorien zur Geschlechterpsychologie bekannt, die besagten, dass die vermeintlich spezifischen Eigenschaften von Männern und Frauen nicht durch ihr Geschlecht, sondern durch ihre Stellung in den jeweiligen Herrschaftsverhältnissen bestimmt seien – und damit durch die Rollen, die die Gesellschaft Frauen und Männern, sozialen Klassen und ethnischen Gruppen als Normen zuwies und aufzwang.
Ende 1923 vom thüringischen Volksbildungsministerium als erste Professorin an einer deutschen Universität gegen den lokalen Widerstand nach Jena berufen, versagten die meisten Kollegen ihr jegliche Akzeptanz. Nicht wenige suchten in der Folge die offene Konfrontation. Schnell geriet sie zwischen ideologische Fronten. Diese Verhältnisse zeichneten sich bereits mit der Berufung ab: Als Mathilde Vaerting am 17. November 1923 ihre Antrittsvorlesung hielt, tat sie dies nicht wie üblich in der Aula, sondern an einem Samstagvormittag im Hörsaal. Die Presse nahm davon keine Notiz. 1933 entlassen und ins Abseits gedrängt, gelang es ihr nach 1945 nicht mehr, an ihre frühere Karriere anzuknüpfen.
Im November 2023 erinnert die GEDG an die Berufung der ersten deutschen Ordinaria an eine Universität mit der Nachstellung von Mathilde Vaertings Antrittsvorlesung in der Aula der Friedrich-Schiller-Universität und einer anschließenden Podiumsdiskussion mit Minister Wolfgang Tiefensee, der Historikerin Annette Weinke, der Pädagogin Bärbel Kracke und Christian Faludi von der GEDG. Überdies weiht die GEDG gemeinsam mit der Universität eine Gedenktafel im Hauptgebäude ein und gibt eine Broschüre heraus, die an die weitgehend unbekannte Wissenschaftlerin erinnert.
Foto: Mathilde Vaerting, o.D. (Universitätsarchiv Bielefeld)