„Nichts ist so unsichtbar wie ein Denkmal [für Ernst Thälmann]“


12. bis 15. November und 14. November 2021

Buchenwaldplatz Weimar und Coudraysaal Musikschule „Johann Nepomuk Hummel“

Veranstaltet von der GEDG und dem Weimarer Republik e.V., kuratiert von Dr. Christian Faludi und Stephan Zänker.

Auf dem Podium waren zu Gast: Rikola-Gunnar Lüttgenau (Gedenkstätte Buchenwald), Armin Fuhrer (Publizist) und Dr. Christian Faludi, Moderator war Sergej Lochthofen.

Foto: Claus Bach für die GEDG

Das Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte 2021 stand ganz unter dem Motto „HELDEN (m/w/d)“. Es fragte, inwieweit eine moderne Demokratie Helden benötigte, wie sich der Heldenbegriff im Laufe der Zeit gewandelt hat und wie man angemessen mit den Heroen der Vergangenheit umgehen kann. Das fortwirkende Gedenken an Helden – aber auch inzwischen vergessene Heldengestalten – finden sich in Weimar in der Tat zuhauf, angefangen mit den „Helden“ der Weimarer Klassik.

Unter den Denkmälern Weimars nimmt das Ernst Thälmann gewidmete einen optisch prominenten Platz ein, wurde es doch an der Carl-August-Allee errichtet, und springt damit jedem ins Auge, der vom Bahnhof kommend ins Stadtzentrum läuft. Der KPD-Politiker war nach mehr als einem Jahrzehnt Haft in NS-Gefängnissen im August 1944 in das KZ Buchenwald verschleppt und dort ermordet worden. Für die Führung der DDR war Thälmann zweifelsfrei ein Held. Am heutigen Buchenwaldplatz – ursprünglich Watzdorfplatz, dann Platz der 51.000 bzw. Platz der 56.000 nach der Zahl der Toten des Konzentrationslagers – steht seit dem 17. August 1958 auf einem Travertinsockel eine leicht übermannsgroße Bronzestatue des Ermordeten mit kämpferisch erhobener Faust. Die Steinwand in ihrem Rücken ziert der – inzwischen freilich etwas verblasste – Schriftzug „Aus eurem Opfertod wächst unsere sozialistische Tat“. Im staatssozialistischen Ostdeutschland Fokuspunkt ideologisch aufgeladener Gedenkveranstaltungen, trat das Denkmal in den Jahren nach 1990 in seiner Bedeutung zunehmend zurück. Wohl wurde es weiterhin in das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus einbezogen, doch für viele Besucher der Stadt, die vom Bahnhof kommend vorbeigingen, wie auch für nicht wenige jüngere Weimarer war es kaum noch sinnstiftend oder wurde auch nur explizit wahrgenommen und in seiner ursprünglichen Bedeutung verstanden.

Der Weimarer Republik e.V. und die Gesellschaft zur Erforschung der Demokratiegeschichte (GEDG) nahmen dies und das Motto des Rendez-vous mit der Geschichte zum Anlass für eine Kunstintervention – die Verhüllung des Denkmals vom 12. bis 15. November 2021 mittels eines Tuches. Ziel war es, durch das zeitweise „Verschwinden“ Thälmanns eine öffentliche Diskussion darüber anzustoßen, wie mit dem Ensemble aus DDR-Zeiten heute angemessen umgegangen werden kann. Dabei ging es keineswegs um Denkmalstürmerei, sondern vielmehr um notwendige Erläuterungen zur Biografie Ernst Thälmanns und zur Geschichte der Anlage. Die Aktion fand in den sozialen Medien, zum Teil auch in der Presse rasch Aufmerksamkeit, die von Zustimmung, aber auch sachlich formulierten Bedenken bis hin zu wütenden Protesten angesichts einer imaginierten Abrissabsicht reichten. Oder, wie es ein Passant dem Autoren gegenüber zu Füßen des verhüllten Thälmanns ausdrückte: „Unter Erich [Honecker] wäre das nicht passiert!“.

Verhüllung des Denkmals für Ernst Thälmann, Weimar 12.11.2021. Foto: Candy Welz für die GEDG

Am späten Nachmittag des 14. November diskutierten der Historiker und Kurator der Aktion, Dr. Christian Faludi (GEDG), der Publizist Armin Fuhrer sowie Rikola-Gunnar Lüttgenau (Gedenkstätte Buchenwald) mit dem Moderator Sergej Lochthofen im Coudraysaal der Musikschule „Johann Nepomuk Hummel“, wie unsere demokratische Gesellschaft mit der Geschichte des Ortes und seinem kulturellen Erbe umgehen kann. Trotz der pandemiebedingten Einschränkungen und des Sonntagstermins war die Veranstaltung rege besucht.

In der Podiumsdiskussion und dem folgenden Austausch mit dem Publikum gingen die Meinungen weit auseinander. Für Armin Fuhrer war Ernst Thälmann in keiner Weise ein Held, eher das Gegenteil eines solchen. Er verwies auf Thälmanns durch Zitate belegte Ablehnung der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik und seine Loyalität zu den stalinistischen Richtlinien für die KPD. Thälmanns Haltung war freilich auch unter dem Kontext der blutigen und oft erbarmungslos ausgetragenen Konflikte der Weimarer Jahre zu sehen, welche die erste deutsche Demokratie von ihrer Gründung bis zu ihrer Zerstörung überschatteten.

Podium „Nichts ist so unsichtbar wie ein Denkmal [von Ernst Thälmann]. Denkanstöße zu einem Weimarer Ort“ mit Dr. Christian Faludi, Armin Fuhrer, Sergej Lochthofen und Rikola-Gunnar Lüttgenau, Weimar, 14.11.2021. Foto: Thomas Müller für die GEDG

Für andere, namentlich Stimmen im Publikum, war das Vermächtnis Ernst Thälmanns als Märtyrer im Kampf gegen den Nationalsozialismus – dem er sich auch in langen Haftjahren nicht beugte – weiterhin positiv belegt. Ein Vermächtnis, das angesichts rechtsradikaler Gewalt- und Mordtaten der Gegenwart und zunehmend lauter formulierten geschichtsrevisionistischen Forderungen durchaus noch Anregung bieten konnte. Dies hieß nicht, dass man Thälmann wie in den Jahren der DDR blindlings zum Helden ohne jeden Fehler stilisieren wolle, wie dies gegenwärtig nur noch durch kleine Minderheiten am linken Rand des politischen Spektrums wie die MLPD geschieht. Doch jenseits dessen gab und gibt es Bestrebungen einer Anzahl Weimarer Bürger und Bürgerinnen, eine „Inbesitznahme“ des Denkmals etwa durch Pandemieleugner oder andere provokante Aktionen zu verhindern. Eine Kunstaktion wie das Verhüllen des Denkmals erschien ihnen deshalb problematisch, wenn nicht gar gefährlich. Gerade in der ostdeutschen Perspektive wird eine Kritik an den Helden der Vergangenheit zudem leicht als Angriff auf alte Gewissheiten empfunden, als Oktroyierung einer westdeutschen Meistererzählung – ein Vorwurf, der mitunter auch dann geäußert wird, wenn die Akteure wie in diesem Fall in Wahrheit selbst einen ostdeutschen Hintergrund haben.

Geschaffen, um den Führungsanspruch der SED erinnerungspolitisch zu untermauern, war das Denkmal auch Ausdruck des Deutungsstreites zwischen den Exilkommunisten um Walter Ulbricht einer- und ehemaligen KZ-Insassen andererseits. Ernst Thälmann – der nie längere Zeit in Buchenwald inhaftiert gewesen war – ließ sich als toter Märtyrer trefflich zum Helden stilisieren, so dass man an das KZ bei Weimar erinnern konnte, ohne dessen noch lebenden Insassen größere Deutungsmacht einzuräumen. Der Tod der (rund) 56.000 auf dem nach ihnen benannten Platz verschwand so partiell im Schatten des einen Toten. Nachdem dieser nach der politischen Wende nicht mehr im Zentrum der offiziellen Erinnerungskultur stand, wurde bereits um das Jahr 2000 – und mehr noch heute – die Frage laut, ob manche nicht eher ratlos wären, wer da eigentlich auf dem Sockel steht und wofür. Und tatsächlich hörten die Beteiligten während der Verhüllungsaktion Stimmen, die sich erkundigten, wen man denn da eigentlich verberge?

Doch wie am besten umgehen mit einem Denkmal, das „aus der Zeit gefallen“ ist? Auf diese Frage konnte eine anderthalbstündige Veranstaltung natürlich keine abschließende Antwort geben, wohl aber erste Impulse und Anregungen. Als Angebot für jüngere Weimarer, wie auch für stadtfremde Besucher erscheint es sinnvoll, dem Denkmal künftig eine erläuternde Tafel beizugeben. Zu Form und Inhalt gab es noch wenig konkrete Vorschläge – fest steht, dass so ein Vorhaben nur im Dialog und in Kooperation etwa mit der Gedenkstätte Buchenwald realisiert werden kann. Auch die Einbeziehung neuer technischer Möglichkeiten wie den Verweis auf digitale Angebote wurde angeregt. Ein grundlegendes Interesse an der Zeit des Nationalsozialismus, das auch zur Auseinandersetzung mit der Gestalt Thälmanns anregt, ist in jedem Fall da, auch in einer sich wandelnden Gesellschaft, unter den jüngeren Jahrgängen und bei Deutschen mit Migrationshintergrund.

Braucht eine Demokratie Helden, braucht sie Helden wie Ernst Thälmann? Auf diese Frage ließ sich in diesem Forum ebenfalls keine klare Antwort finden. Es gibt gute Gründe für die Ansicht, dass es Helden im Sinne überhöhter Lichtfiguren in einer gefestigten Demokratie nicht mehr bedarf. Die heutige Anforderung an Geschichts- und Geschichtenvermittlung lautet vielmehr, Jugendliche wie Erwachsene stärker zu kritischem Nachdenken anzuhalten, und historische Persönlichkeiten aus ihrer Zeit zu beurteilen. Weder dürfen ihre Verdienste geschmälert und ignoriert, noch ihre Fehler und Schattenseiten zugunsten unkritischer Verehrung übertüncht werden. Rikola-Gunnar Lüttgenaus Ansicht, dass man sich auch gegenwärtig noch an heldenhaften Taten orientieren kann, auch wenn man anerkennt, dass jene die sie vollbrachten „nur Menschen“ waren, erscheint jedoch überzeugend.

Vielleicht wäre dies auch ein guter Weg, einen Mann wie Ernst Thälmann zu betrachten. Sein mitunter gewaltsamer Kampf gegen die Weimarer Republik ist kritisch zu beurteilen und seine Treue zur stalinistischen Parteilinie war ein großer Fehler. Seine unbeugsame Standhaftigkeit trotz jahrelanger Haft und großer persönlicher Härten für ihn und seine Angehörigen nötigt jedoch zweifelsfrei Respekt wie Bewunderung ab und kann auch heute noch als Vorbild dienen.

Verhüllung des Denkmals für Ernst Thälmann, Weimar 12.11.2021. Foto: Candy Welz für die GEDG